Analyse: Lahme Ente Kohl
■ Italiens Regierung braucht sich von den Deutschen nichts sagen zu lassen
Der eine hatte es sich ganz anders vorgestellt, der andere noch vor einem Jahr nicht auszumalen gewagt: Deutschlands Bundeskanzler Helmut Kohl mußte gestern erstmals als lahme Ente zu den vormals so gerne geschmähten Südstaatlern nach Rom pilgern. Nicht nur, daß beim Gipfeltreffen zwischen ihm und Italiens Regierungschef Romano Prodi nahezu alle Themen umstritten sind – die Italiener haben auch keinerlei Grund, nur einen Deut nachzugeben.
Insbesondere drei Themen liegen dem Kanzler am Herzen: der Zutritt Italiens zur ersten Euro-Gruppe, den der Deutsche aus Wahlkampfgründen ganz und gar nicht gebrauchen kann; die Asylpolitik – speziell hinsichtlich der Kurden – und die Reform der Vereinten Nationen, bei der die Bundesrepublik einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat ergattern will.
Prodi will derzeit von den Deutschen eigentlich gar nichts — er hat faktisch das gesamte Resteuropa hinter sich und kann in Ruhe abwarten, was passiert. Kommt ihm der Kanzler mit der angeblichen Wackeligkeit der italienischen Wirtschaft, kontert Prodi mit nackten Zahlen: Die Inflation liegt mit 1,5 Prozent niedriger als die deutsche, das Bruttoinlandsprodukt mit fast 3 Prozent höher als das deutsche. Bei der Frage der Maastricht-Kriterien trumpft Italien mit 2,7 Prozent Neuverschuldung auf, während Deutschland noch um die Einhaltung der 3,0 Prozent kämpft. Verdacht auf allzu kreative Bilanzierung kontert Prodi mit profundem Wissen über deutsche Tricks beim Erreichen der Dreiprozentmarke, und im übrigen zeige doch das Ausland allenthalben Vertrauen zu Italien: Die Lira sei stabil, die Investitionen rauschen gerade so herein, die Mailänder Börse erlebe einen Boom wie noch nie.
In Sachen Kurden – wo Kohl mit dem Hammer einer Aussetzung des Schengener Abkommens über den freien Grenzverkehr drohen wollte – verweist Prodi ungerührt auf den bedingungslosen Rückhalt, den ihm das Europäische Parlament wegen seiner liberalen Asylpolitik gegeben hat. Und bezüglich der UNO-Reform weiß er den Großteil der Dritt- und Viertweltländer und dazu auch noch einige der neuen EU-Aspiranten hinter sich: Sie wollen ein Rotationsmodell, keine neuen ständigen Mitglieder.
So muß Kohl diesmal in Rom eher darum flehen, daß Prodi sein Engagement zugunsten des öffentlich immer als „Freund“ gerühmten Kanzlers nicht in die schädlichste aller Formulierungen kleidet: „Kopf hoch, Alter, du wirst es ja vielleicht auch noch schaffen.“ Vorsichtig haben die deutschen Besucher denn auch bereits erklärt, das Treffen werde wohl „keine neuen Abkommen oder Vereinbarungen“ hervorbringen, sondern lediglich einen „Meinungsabgleich“. Werner Raith
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