Analyse: Rückzugsgefechte
■ Die Konservativen wollen die Reform des EU-Haushalts verwässern
Das Rennen um die Milliarden ist eröffnet, die Bauernverbände und ihre Minister in der EU wehren sich gegen die von der Kommission in Brüssel vorgelegte Agenda 2000. Damit soll der Beitritt der osteuropäischen Länder in den größten Wirtschaftsverbund der Welt vorbereitet werden. Und weil die neuen Länder noch Jahrzehnte ärmer als die meisten bisherigen EU-Mitglieder bleiben, geht es ans Umverteilen, und zwar vor allem auf zwei Gebieten: zuerst beim Agrarhaushalt, der die Hälfte des Brüsseler Budgets verzehrt. Die garantierten Agrarpreise sollen um bis zu 30 Prozent gesenkt werden, die Bauern zum Ausgleich einen Sockelbetrag direkt überwiesen bekommen – ein Nachteil für große Betriebe mit hohen Erntemengen. Als zweites wird die Hilfe für sogenannte „strukturschwache Regionen“ verändert. Der Begriff muß künftig wesentlich enger gefaßt werden, viele Landstriche werden nicht mehr auf Milliarden aus Brüssel bauen können.
Der deutsche Landwirtschaftsminister und 11 von 14 seiner EU-Kollegen haben vorgestern die Agenda 2000 abgelehnt. Und die CSU hat auf Außenminister Klaus Kinkel geschimpft, weil er mit seiner diplomatischen Leisetreterei bei der Formulierung der Agenda wieder einmal die Interessen Deutschlands nicht energisch genug vertreten habe.
Den meisten kleinen und mittleren Bauern steht das Wasser finanziell wirklich bis zum Hals. Sie sind also unzufrieden und kämpfen um jede Mark Subvention. Und viele Landwirtschaftsminister, speziell der deutsche, kämpfen ähnlich verzweifelt wie die Landwirte, und zwar um jede Wählerstimme. Ob die 1,3 Millionen überwiegend konservativ eingestellten Arbeitskräfe in der deutschen Landwirtschaft ihr Kreuzchen bei der CDU/CSU machen oder nicht, ist bei der Bundes- und der Bayernwahl im Herbst entscheidend. Und solange der Rest der Wählerschaft nur über die Bauernsubventionen grummelt, sein Wahlverhalten aber von anderen Fragen abhängig macht, bleibt das Feld in der Hand der Bauernverbände und ihrer politischen Repräsentanten.
Doch die Scharmützel um die überkommenen Subventionen bleiben Rückzugsgefechte. Denn die Osterweiterung wird kommen, dafür werden schon die Industrielobbies sorgen. Zu viele Branchen profitieren von einer Ausweitung des EU-Binnenmarktes; neue offene Märkte und viele billige Arbeiter kämen an Bord. Mit ihrem Festhalten am bisherigen System bewirkt die deutsche Bauernlobby nur eines: Neue, auch finanziell einträglichere Wirtschaftsformen für die Betriebe werden weiterhin kaum gefördert. Damit wird das Sterben der kleinen und mittleren Betriebe bis 50 Hektar Fläche – das sind 450.000 der 525.000 Höfe in Deutschland – im Endeffekt nur beschleunigt. Reiner Metzger
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