Analyse: Ein Signal an Moskau
■ Lettland will RussInnen den Erwerb der Staatsangehörigkeit erleichtern
Die Bomben, die unlängst in Riga erst vor einer Synagoge, dann vor der russischen Botschaft explodierten, haben die verantwortlichen PolitikerInnen Lettlands offenbar aufwachen lassen. Als „Osterei“ Richtung Moskau verkündete man über die Feiertage für Angehörige der russischen Minderheit eine „Erleichterung“ des Erwerbs der Staatsangehörigkeit. Zwar soll es anscheinend weiter bei den Sprachprüfungen bleiben, aber zumindest die im Lande groß gewordenen Kinder russischer Eltern sollen automatisch einen lettischen Paß bekommen, wenn sie sechzehn Jahre alt werden.
Ein kleiner Schritt in die richtige Richtung und gleichzeitig ein Signal an Moskau, daß man die aktuelle Krise zwischen den Ländern entschärfen will. Jelzin hatte am Freitag angekündigt, die angedrohten Wirtschaftssanktionen gegen Lettland nicht umzusetzen.
Lettland wird derzeit von der schwersten politischen Krise seit seiner Unabhängigkeit erschüttert. Innenpolitisch steht die Regierung nach dem Austritt eines Koalitionspartners vor dem Ende, außenpolitisch steht man im Kreuzfeuer der Kritik aus Ost und West. Begonnen hatte alles am 3. März, als eine Demonstration von russischen RentnerInnen in Riga von der Polizei gewaltsam aufgelöst wurde. Am 16. März marschierten fünfhundert Veteranen der ehemaligen lettischen SS-Legion durch Riga, um den fünfundfünfzigsten Jahrestag ihrer Gründung zu feiern. Der Gedenkmarsch hatte zumindest die halboffizielle Anerkennung der Regierung. So marschierte der Chef der Streitkräfte, Juris Dalbins, persönlich mit. Bundeskanzler Kohl sah eine baldige EU- Mitgliedschaft als illusorisch an, und Riga handelte sich ähnliche Kritik aus nahezu allen westlichen Hauptstädten ein.
Die jetzige Reaktion bedeutet wohl, daß Riga den Kern dieser negativen Aufmerksamkeit erkannt hat: den bislang fehlenden Willen, anzuerkennen, daß Lettland ein Staat ist, in dem zwei Völker leben. Der Widerwille zu solcher Einsicht ist verständlich: Der größte Teil der russischen Bevölkerung sind Nachkommen von Einwanderern, die aus der Sowjetunion kamen, während gleichzeitig Hunderttausende LettInnen dorthin deportiert wurden.
Trotzdem kann diese Haltung nicht akzeptiert werden. Schon deshalb nicht, weil die nationalistische Rechte im Land mit Rückendeckung einer solchen restriktiven Staatsbürgerschaftsgesetzgebung offen das Ziel verfolgt, das Dasein für die RussInnen unerträglich zu machen. So kann die Geschichte nicht ungeschehen gemacht werden. Ebensowenig wie man annehmen darf, durch wohlwollendes Wegsehen dunkle Flecken aus der Zeit der Nazi-Besetzung ohne wirkliche Aufarbeitung einfach vergessen zu können. Reinhard Wolff
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen