Analyse: FDP in grüner Krise
■ Keiner versteht die Liberalen: Sie wollen doch nur den Soli senken
Spätestens am Montag morgen, beim Aufschlagen der Zeitungen, wird sich mancher bei der FDP vor den Kopf geschlagen haben. Mensch, sind wir blöd. Da haben sie beim Parteitag in Berlin taktiert, was das Zeug hält, damit sie sich die ohnehin spärlichen Chancen für die Wahl in Sachsen-Anhalt nicht verderben – und was passiert dann kurz vor Ende der Veranstaltung? Die Mehrheit der Delegierten stimmt einem Änderungsantrag der Jungliberalen (Julis) zu, auf eine Abschaffung des Soli-Zuschlags zu dringen. Vorher hieß es noch: „Weiterer Abbau des Solidaritäszuschlags, ohne daß deshalb die Leistungen für die neuen Bundesländer gekürzt werden.“ Mit solch einer windelweichen Formulierung hätten die Ostdeutschen leben können, die gemeinhin jede Diskussion über den Soli als Affront betrachten. Aber jetzt? Viel Spaß in Sachsen-Anhalt, kann man da nur wünschen.
Die FPD hat zwar auch in der neuen Fassung betont, daß die Mittel für den Aufbau Ost unabhängig vom Soli nicht gekürzt werden sollen. Aber ob das in den Köpfen hängenbleibt? Fast alle Schlagzeilen zum FDP-Parteitag lauteten gestern: FDP fordert völlige Abschaffung des Solidaritätszuschlags. Alles weitere läuft unter ferner liefen.
Die FDP hat mit ihrer Forderung immerhin Mut bewiesen, der angesichts der Jubelparty der SPD auf ihrem Parteitag erfrischend wirkt. Anders als die Sozialdemokraten z.B. beim Thema Ökosteuern hat sich die FDP ohne Rücksicht auf Verluste zu einer ihrer originären Forderungen bekannt. Und für die Abschaffung des Solis sprechen schließlich viele Gründe. Der Soli ist auf Zeit angelegt, er ist eine Augenwischerei, weil die Einnahmen daraus mitnichten direkt in den Aufbau Ost, sondern ins allgemeine Steuersäckel fließen, und belastet in besonderer Weise den Mittelstand. Aber was zählen schon solche Argumente gegenüber der Vorstellung, der Soli symbolisiere die Unterstützung des Westens für den Osten? Der FDP wird es ähnlich ergehen wie den Grünen mit ihrer Ökosteuer. Das Schlagwort von fünf Mark pro Liter Benzin bringt das ganze Vorhaben in Verruf.
Dennoch wirkt die ehrliche Haltung der FDP zum Soli eher wie ein Versehen, weil die Liberalen in anderen Fragen aus taktischen Gründen zurückgerudert sind. So etwa beim Länderfinanzausgleich, den die FDP eigentlich mehr am Wettbewerb ausrichten will. Aus Rücksicht auf den Osten wurde aber eine entsprechende Passage im Leitantrag gestrichen. Rein taktisch hat sich die FDP auch bei den Subventionen für den Steinkohlebau verhalten. Die Julis wollten die völlige Abschaffung bis zum Jahr 2005, statt die Subventionen „ab 2005 auslaufend“ zurückzuführen. Aber mit dem mächtigen Bundesland Nordrhein-Westfalen wollten sich die Delegierten dann doch nicht anlegen. Markus Franz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen