Analyse: Sex für alle Dänen
■ Selbst bei schneller Einigung wird der Streik noch bis zum Montag dauern
Auf Demonstrationen in mehreren dänischen Städten haben Zehntausende von Streikenden gestern ihren ungebrochenen Willen bekräftigt, die Forderung nach mehr Freizeit durchzusetzen. „Sex für alle“, sechs Urlaubswochen, lautete die Hauptparole. Bis zu zwei Tage mehr Urlaub haben die Arbeitgeber bisher angeboten: einen zusätzlichen Urlaubstag für alle und einen Tag speziell für Familien mit Kindern. Die zusätzlichen Tage sollten unbezahlt sein. Für die Annahme dieses Angebots stellten die Arbeitgeber ein Ultimatum bis zum gestrigen Abend.
Zuwenig für die UnterhändlerInnen der Gewerkschaften. Sie lehnten dieses Angebot ab angesichts aktuell bekanntgewordener Zahlen über die kräftig gestiegenen Unternehmensgewinne: Um 16,8 Prozent konnten die an der Börse notierten Unternehmen im vergangenen Jahr ihren Umsatz steigern. Die Gewinne schossen 1997 um 21,2 Prozent nach oben, ein seit Jahren nicht mehr erreichtes Plus. Zahlen, die bei allen Demonstrationen als Argument für eine Fortsetzung des Streiks dienen. Die Gewerkschaften erklärten außerdem, jedes Verhandlungsergebnis der Tarifparteien werde ihren Mitgliedern zur Abstimmung vorgelegt. Daher wird selbst bei einer schnellen Einigung ein Ende des Konflikts nicht vor dem kommenden Montag erwartet.
Ob eine neue Verhandlungsrunde, die gestern nachmittag beginnen sollte, zu einer Einigung führen könnte, war völlig offen. Indirekt hatte Regierungschef Poul Nyrup Rasmussen erstmals mit seinem Eingreifen gedroht. Zuvor hatten beide Tarifparteien eine Aufforderung Rasmussens zurückgewiesen, einen staatlichen Schlichter einzuschalten. Der Premier wird heute an einer parlamentarischen Fragestunde zu den Folgen des Streiks teilnehmen.
Verschiedene Unternehmer kritisierten mittlerweile offen die harte Verhandlungslinie ihres Verbands. Die Kosten des Streiks werden inzwischen von der Regierung auf knapp eine Milliarde Mark geschätzt. Die Nationalbank versuchte gestern mit Dollarverkäufen und einer Erhöhung des Diskontsatzes von 3,5 auf 4 Prozent und des Geldmarktzinses auf 4,25 Prozent, die Krone zu stützen.
Die Arbeitgeber des Einzelhandels und der Elektrobranche sperren mittlerweile 60.000 Beschäftigte aus. Mangels Benzin nimmt auch der Autoverkehr ab. Die meisten DänInnen sind aufs Fahrrad umgestiegen. Die Stadt Kopenhagen verzichtet inzwischen darauf, Knöllchen zu verteilen, da unklar sei, ob diese nicht vielleicht wegen Benzinmangels liegengeblieben seien. Betroffen vom Benzinmangel ist offenbar auch die Diebesbranche – Einbrüche gingen laut Polizeibericht um mehr als die Hälfte zurück. „Die Leute sind mehr zu Hause“, sagte ein Sprecher der Polizei. Reinhard Wolff
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