Analyse: Reizendes Thema
■ Ohne Pläne für Verkehrvermeidung ist die Ozondebatte nur Sommertheater
Alle Jahre wieder wird über das Reizgas auf den Straßen diskutiert. Der Streit wird nun zusätzlich angeheizt vom heutigen Fahrverbot für Autos ohne Kat in Baden-Württemberg und Hessen. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) fordert eine schärfere „Sommersmog-Verordnung“ mit Tempolimits und schnelleren Fahrverboten. Weil nach der aktuellen Regelung kaum Ozonalarm ausgelöst wird, ist sie nach VCD-Meinung ein „Autofahrerschutzbrief“. Bundesverkehrsminister Matthias Wissmann (CDU) dagegen lehnt den Stopp des Straßenbaus und Tempolimits als „überflüssiger denn je“ ab. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, seit der deutschen Einheit 200 Milliarden Mark teuer, werde in den nächsten vier Jahren mit 90 Milliarden weitergeführt.
Wirklich Neues kommt aus Brüssel. Nach einem Bericht der Zeitschrift Environment Watch plant die EU-Kommission, den Ausstoß der Ozonsmog-Vorläufersubstanzen und deren Grenzwerte drastisch zu senken. Die Regelung würde von Deutschland eine Reduzierung dieser Schadstoffe um etwa 70 Prozent bedeuten.
Doch selbst wenn diese Regelung in Kraft tritt, wird sie sich wohl zum Papiertiger wandeln. Denn der Zug geht genau in die andere Richtung: Die immense Zunahme des Verkehrs in Europa und vor allem im Transitland Deutschland hat bisher noch jeden technischen Fortschritt etwa bei der Katalysatortechnik zunichte gemacht. Und die Prognosen sagen voraus, daß sich bis 2010 der allgemeine Straßenverkehr verdoppelt, der Transitverkehr um 180 Prozent und der Schwerlastverkehr gar um 250 Prozent zunehmen. Das Anliegen der Bundesregierung ist daher der schnelle Ausbau der Straßen – und nicht etwa der Schutz der Bevölkerung.
Inzwischen ist es allgemein anerkannt, daß an heißen Tagen mit Ozongefahr Kleinkinder und alte Menschen ins Haus gesperrt werden, und nicht etwa die Autos. Doch die Lage beim Individualverkehr ist verwickelt, weil die meisten Menschen gleichzeitig Urheber und Opfer des Verkehrs sind: mit dem Auto ins Grüne, um sich dort über die Autofahrer aufzuregen. Die nachfrageorientierte Verkehrspolitik von Wissmann und Co verschlimmert die Lage nur noch: Immer neue Straßen bringen immer mehr Verkehr, der wieder neue Straßen nach sich zieht. Nötig ist eine „geistige Wende“ in der Verkehrspolitik und eine Debatte über Verkehrsvermeidung. Erst dann hat auch die Ozondebatte wieder einen Sinn. Bis dahin sind schärfere Grenzwerte nötig, die Debatte darum aber ist nur ein weiteres allgemeines Reizthema. Bernhard Pötter
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