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AnalyseHaben oder arm sein

■ Vertieft sich die Kluft zwischen Armen und Reichen in Deutschland?

Die Polarisierung der Gesellschaft in Arm und Reich hat in den vergangenen Jahren nicht zugenommen – wenn man dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) glaubt. Entgegen der landläufigen Meinung hätten die einkommensschwächsten Haushalte in Deutschland in den vergangenen Jahren besonders vom wachsenden Wohlstand profitiert, heißt es im neuesten Informationsdienst des arbeitgebernahen Instituts. Schließlich sei das Prokopfeinkommen des ärmsten Drittels der westdeutschen Gesellschaft zwischen 1985 und 1996 um 21 Prozent gestiegen, während das reichste Zehntel nur um 19 Prozent zugelegt habe. Was ist dran an den widersprüchlichen Meldungen über die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich?

Wo welche Gräben aufreißen, ist vor allem eine Frage der zugrunde liegenden Daten. Die IW-Zahlen berufen sich, ebenso wie das Berliner DIW-Institut, auf Haushaltsbefragungen im sogenannten sozioökonomischen Panel. Danach hat sich der Abstand zwischen den verfügbaren Einkommen der unteren und oberen Einkommensgruppen im Westen tatsächlich nicht oder nur sehr wenig vergrößert.

Zu anderen Schlüssen kommt das gewerkschaftsnahe Institut WSI, das sich auf die Beschäftigtenstichprobe der Forscher der Bundesanstalt für Arbeit beruft: Der Anteil der West-Vollzeitbeschäftigten, die weniger als 75 Prozent des Durchschnittseinkommens verdienen, habe in den Jahren zwischen 1975 und 1990 zugenommen. Auch die Gruppe der Höherverdienenden wuchs, während die mittlere Schicht schrumpfte. Fazit des WSI: Es gibt eine zunehmende Spreizung unter den Arbeitnehmereinkommen. Das betrifft nicht unbedingt auch die Haushaltseinkommen, schließlich gibt es immer mehr zuverdienende Ehefrauen.

Statistisch klar nachweisbar ist jedoch, daß sich die Kluft zwischen den verfügbaren Einkommen der Selbständigen- und der Arbeitnehmerhaushalte zusehends vertieft. Selbständige finden leichter Steuerschlupflöcher; Arbeitnehmer müssen hohe Sozialversicherungsbeiträge zahlen. Die Zahl der Einkommensmillionäre ist in den vergangenen Jahren überproportional gestiegen.

Konzentriert sich das Vermögen in immer weniger Händen? Das ist die wichtigste Frage. Genau hierfür gibt es leider keine Daten, die einen Zeitvergleich erlauben. Die sogenannten Einkommen- und Verbrauchsstichproben (EVS) von 1983 und 1993 sind aufgrund unterschiedlicher Datengrundlagen nicht miteinander vergleichbar. Außerdem werden die sehr reichen Haushalte mit der EVS nicht erfaßt. Nur eins ergeben die Daten: Vermögenseinkommen werden künftig gegenüber den Einkünften aus Arbeit an Bedeutung gewinnen. Wer hat, dem wird gegeben. Barbara Dribbusch

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