Analyse: Mehr Straftäter?
■ Die neue Kriminalitätstatistik aus Wiesbaden ist nur wenig aussagekräftig
Die Zahl der im vergangenen Jahr von deutschen Gerichten abgeurteilten Straftäter ist um 2,2 Prozentpunkte gestiegen. In konkreten Zahlen sind dies insgesamt 780.500 Personen. Das jedenfalls meldete gestern das Statistische Bundesamt in Wiesbaden. Auch die weiteren Angaben klingen bedrohlich: Anstieg bei Jugendlichen um 11,3 Prozent, bei Raub und Erpressung um 11 Prozent, Körperverletzung um 9,7 Prozent, Drogendelikte um 11,6 Prozent und so weiter. Das Szenario einer ständig steigenden Kriminalität in der Bundesrepublik, das von Politik, Polizei und Justiz seit Jahren immer wieder aufs Neue gezeichnet wird, scheint nun durch eine neutrale Instanz bestätigt zu sein.
„Scheint“ ist in diesem Zusammenhang ein wichtiges Wort. Denn unter dem Strich kommt bei den Statistikern dabei immer noch ein leichter Rückgang heraus. Die bisherige Höchstzahl von 782.100 Verurteilungen (1994) wurde allen Anstiegen zum Trotz knapp verfehlt. Etwas hilflos weisen sie deshalb daraufhin, daß „die Verurteiltenzahlen allein die Kriminalitätsentwicklung nicht hinreichend widerspiegelten, da der Polizei nur ein Teil der Straftaten bekannt und nicht jeder ermittelte Tatverdächtige auch verurteilt“ werde.
Doch genau hier liegt ein entscheidendes Problem. Sämtliche Statistiken, die alljährlich auf dem Markt der Inneren Sicherheit gehandelt werden, sind miteinander nicht kompatibel. Auch die immerhin feste Größe „Verurteilung“ allein erweist sich als wenig aussagefähig, wenn dabei nicht zwischen Geldstrafen, Bewährungsstrafen und Haftstrafen unterschieden wird. So wissen wir durch die Wiesbadener Rechenkunststücke nun immerhin, daß der größte Deliktsanteil des Jahres 1997 Straftaten im Straßenverkehr (250.219) betrifft. Wir erfahren, daß der Frauenanteil an den Gesamtverfahren zwar um zirka 3,6 Prozent gestiegen ist, die 121.600 verurteilten Frauen gegenüber 658.900 Männern aber immer noch mächtig im Rückstand sind. Und daß die Zahl der verurteilten Ausländer um 1,2 Prozent gestiegen ist, ihr Anteil an den Gesamtverfahren gleichzeitig jedoch „geringfügig unter dem Wert des Vorjahres“ liegt.
So ganz sicher ist das alles aber auch wieder nicht, denn alle Zahlenangaben beziehen sich lediglich auf Gerichtsentscheidungen in den alten Bundesländern einschließlich Berlin-Ost. Für die fünf ostdeutschen Bundesländer liegen hingegen keine Angaben vor. Also ist alles vielleicht ganz anders. Wer weiß das? Die Statistiker jedenfalls auch nicht. Es wird abzuwarten sein, ob sich der Umgang mit derartigen Zahlenwerken zur Kriminalitätsentwicklung verändern wird oder ob sich auch der neue Bundesinnenminister Otto Schily wie sein Vorgänger mit kriminalpolitischer Kaffeesatzleserei begnügen wird. Otto Diederichs
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