Analyse: Wieviel mehr ist fair?
■ Die hohen Tarifforderungen der Gewerkschaften bleiben umstritten
Reine „Lohnrunden“ sollten die diesjährigen Tarifrunden in der Metallindustrie und im öffentlichen Dienst werden – so wollten es die Gewerkschaften mit ihren Lohnforderungen von 6,5 Prozent in der Metallindustrie und 5,5 Prozent im öffentlichen Dienst. Die IG Metall argumentiert in ihrer Lohnforderung mit den hohen Gewinnen mancher Unternehmen. Die 6,5 Prozent setzen sich aus Preiserhöhungen, dem Anstieg der Produktivität und einer „Umverteilungskomponente“ zusammen. Doch die Gewerkschaften können sich aus der Jobfrage nicht mehr heraushalten. Die Frage, welche Lohnsteigerungen denn neue Jobs entstehen lassen, prägt mehr und mehr die Tarifrunden.
In dieser Frage gibt es zwei Positionen: Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (SVR) wirbt dafür, die Löhne weniger stark steigen zu lassen als die Produktivität zunimmt. Damit würde Arbeit im Vergleich zu anderen Produktionsfaktoren billiger. Die andere Position vertritt beispielsweise das Berliner Wirtschaftsinstitut DIW: Die Löhne sollen im Maße der Produktivität und eines Inflationszuschlags steigen. Dies sei nötig, um die Kaufkraft der Bevölkerung zu erhalten, sonst fehle die Nachfrage etwa nach Konsumgütern, entsprechend würden Arbeitsplätze abgebaut. Der ersten Position entsprächen Tarifabschlüsse um die zwei Prozent, der zweiten Position Lohnsteigerungen bis zu vier Prozent.
Für die zweite Position, also den Vorschlag, den Unternehmen erst höhere Personalkosten zuzumuten, um diese höheren Kosten dann durch eine hohe Konsumnachfrage auszugleichen und so neue Jobs zu schaffen, gibt es in den vergangenen Jahren in Europa keinen empirischen Beweis. Aber auch die Jobwirksamkeit der ersten Position ist umstritten: Moderate Löhne erhöhen die Gewinne der Unternehmen, ob diese dann tatsächlich mehr Jobs schaffen, läßt sich nur mittelfristig nachweisen. Wenn überhaupt.
Mehr als zuvor wirft die diesjährige Tarifrunde daher auch die Frage auf, ob sich Lohnsteigerungen nicht mehr an der Ertragslage der einzelnen Betriebe orientieren sollten. Denn die variiert beträchtlich von Betrieb zu Betrieb. Autohersteller wie Daimler-Benz in Sindelfingen beispielsweise können ihren Mitarbeitern höhere Lohnsteigerungen gewähren als ein mittelständischer Zuliefererbetrieb im Maschinenbau. Der Arbeitgeberverband Gesamtmetall schlägt zusätzliche „Einmalzahlungen“ vor, die nur Betriebe in rosiger Lage auszahlen müßten. Die IG Metall ist dagegen. In der diesjährigen Tarifrunde werden daher nicht nur Löhne verhandelt, sondern auch tarifpolitisch Weichen gestellt. Am 22. Januar will der Metall-Arbeitgeberverband in Nordrhein-Westfalen ein erstes Lohnangebot vorlegen. Barbara Dribbusch
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