: Analoge Verzögerung
■ High Fidelity aus Glas und Sperrholz: Der Niederländer Mari Reijnders hat aus der Galerie Rampe 003 einen Plattenladen gemacht
Echte Plattenläden mutieren nachts zu Veranstaltungsorten und Bars (Don De Lion), Ready-Mades-Ausstellungen erinnern an komplette 70er-Jahre-Wohnungseinrichtungen, und neben der Volksbühne steht plötzlich, hell erleuchtet und gläsern, eine Kunst-Plattenladen-Bar-Installation: „Rewind“, eine Arbeit des Holländers Mari Reijnders.
Der 35-Jährige hat die Galerie Rampe 003 in einen Vinylshop verwandelt. An den Wänden sind mehrere Reihen bunter Plattenhüllen aufgehängt, darunter stehen die typischen Schallplatten-Regal-Auslagen, in denen man stöbern kann, im Hintergrund läuft Musik. Doch die vielen Cover sind in Wirklichkeit nur bemalte Spanplatten: Sie fungieren als Platzhalter, als künstlerisches Synonym für echte Scheiben. Es gibt schaurige Cover, deren Design an Schallplatten von Europe oder Alan Parson's Project erinnert, daneben grafische Muster in hübschen Farben, bei denen man im echten Laden bestimmt zum Tresen tapern und „Wie ist die denn?“ fragen würde: „Alles, was ich mal an Coverideen hatte“, sagt Reinjders.
„Nach meinem Umzug nach Brüssel hatte ich überhaupt nichts in meiner neuen Wohnung, nur diese große Sperrholzplatte“, erklärt der Künstler, „und ich wollte gerne etwas machen. Also habe ich ausgerechnet, wie viele Stücke ich aus dem Brett kriege, und die hatten dann zufällig fast Schallplattengröße – so kam es zu der Idee.“ Alle Bands aus Reijnders Plattenladen sind imaginär. Alphabethisch geordnet sind sie nicht – typisch Secondhand-Shop: Die ganze Installation sieht aus wie eine Art künstliches Setting für Nick Hornbys „High Fidelity“.
Nur die Platten im Eckregal sind echt, und das ist der zweite Teil der Installation: Der Künstler spielt sie auf dem vierarmigen, patentierten Plattenspieler ab, den er 1996 zusammen mit seinem niederländischen Kollegen Gerrit-Jan Fukkink entwickelt hat. Die verschiedenen Tonarme des Geräts lassen sich gleichzeitig an verschiedenen Stellen auf die Scheibe setzen und produzieren so einen seltsamen, an altmodische, analoge Verzögerungseffekte erinnernden Sound.
Auf einer mit diesem Plattenspieler produzierten Single hört man dann zum Beispiel Serge Gainsbourg gleich viermal mit sich selbst im Kanon singen. Eine berückende Spielerei mit künstlicher und doch teilweise vertrauter Musik in einem künstlichen und doch vertrauten Ambiente: Der Besucher der Ausstellung wippt im Rhythmus zwischen Kunst und Alltag hin und her.
Um den Plattenspieler herum hat Reijnders sein Tonstudio „Heavy Mental Recording“ aufgebaut, in dem die Besucher zusammen mit ihm Radiosendungen produzieren sollen, die dann im Offenen Kanal gesendet werden. Aber einfach nur vorbeikommen und in den falschen Platten wühlen darf man natürlich auch. Jenni Zylka
Donnerstag bis Samstag, 18 bis 20 Uhr, Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, Mitte
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