jugend liest : Ana und die Tochter von George W.
Für ihren Namen kann sie nichts. Jenna Bush. Klingt gewöhnlich. Bush ist in den USA so verbreitet wie bei uns Schmidt. Aber Jenna ist die Tochter des George W. Bush. Ich wünschte, ich hätte das nicht gewusst, als ich das Buch las. Gegen diese Verwandtschaft anzulesen, ist fast unmöglich. Die Autorin von „Anas Geschichte“ ist die Tochter des mal ungeliebten, mal gehassten Noch-US-Präsidenten. Soll die Tochter dieses Vaters kein gutes Buch schreiben können? Ein politisches noch dazu? Selten habe ich mich beim Lesen so an meinen eigenen Vorurteilen abgearbeitet. Ganz schlecht ist das Buch nämlich nicht. Aber wenn ich ehrlich bin, war ich doch von dem zugegebenermaßen recht voyeuristischen Verlangen getrieben, mithilfe der Geschichte etwas über ihre Urheberin zu erfahren. Ana, das HIV-positive Mädchen aus Lateinamerika, verwaist, geschlagen, missbraucht, aufgefangen von professionellen Helfern, innerlich befreit, verliebt, geschwängert, wieder verliebt – was für eine Fülle an Schmerz und Willenskraft und, ja, zuweilen auch Glück! Dass Ana mit der Autorin, die ihre Geschichte aufschrieb, derart konkurrieren muss, ist nicht fair, wie so vieles in ihrem Leben.
Jenna Bush, Mitte zwanzig, praktizierende Grundschullehrerin, hat einige Zeit als Praktikantin in Lateinamerika für Unicef gearbeitet. Dort hat sie Ana kennengelernt. Bush erzählt mit einem geradezu naiven Duktus, so als schaute jemand das erste Mal auf diese Welt – und siehe, sie war schlecht. Bush hat ihr Buch mit viel Empathie geschrieben. Ich bin gerne bereit, der Vermutung Raum zu geben, dass es ihr wirklich ein Anliegen ist, Menschen wie Ana zu helfen. Nur diese Mischung aus Erlösung und Läuterung ist mir unheimlich. Ana wird geheilt und erlöst durch Psychotherapeuten und Sozialpädagogen, auch der Katholizismus spielt eine Rolle. Vor allem aber wird Ana geläutert durch ihre Fähigkeit, zu begreifen. Das kann ich gut nachvollziehen. Doch Bush reicht das nicht. Sie lechzt nach Überhöhung. Schläge, Armut, Aids, Einsamkeit, Vergewaltigung – die Fallhöhe ist geradezu die Voraussetzung für die moderne Heiligenlegende, die Jenna Bush erzählt. Aber anders als in der Bibel oder in den griechischen Sagen sind die Konflikte hier auf seltsame Art eingeebnet. Anas Weg erscheint wie ein steter Fluss, der seiner Mündung schicksalhaft entgegenfließt. Dass Ana an keiner Stelle des Buchs unsympathisch wirkt – das empfinde ich als geradezu unmenschlich.
Von ganz anderem Kaliber ist Klaus Werner-Lobo. Der österreichische Umweltjournalist und -aktivist ist erfrischend geradeaus und klar. Nach seinem Bestseller „Schwarzbuch Markenfirmen“ berichtet das Gewissen des globalen Marktes für Jugendliche verständlich von „Macht und Machenschaften der Multis“. Werner-Lobo hat ein zutiefst parteiisches Buch geschrieben – gegen eine Globalisierung, die die Reichen reicher und die Armen ärmer und vor allem noch abhängiger macht. Da gibt es nichts zwischen den Zeilen zu lesen, und diese Offenheit ist entwaffnend. Werner-Lobo erklärt Weltbank und Shareholder-Value – immer unter der Fragestellung: Was nützt den Armen, was den Reichen? Keine der Firmen, die er an den Pranger stellt, hat bislang gegen das Buch geklagt. An mangelndem Rechtsbeistand wird es nicht liegen. ANGELIKA OHLAND
Jenna Bush: „Anas Geschichte. Ein Stück Hoffnung“. Aus dem Englischen von Christa Broermann. Dtv, München 2008, 295 Seiten, 9,90 Euro Klaus Werner-Lobo: „Uns gehört die Welt“. Hanser Verlag, München 2008, 277 Seiten, 16,90 Euro