: An Reisefreiheit scheitert Statistik
Im Bezirk Magdeburg hatten die DDR-Stellen schon 18 Auffanglager bereitgestellt / Doch die angekündigten Reisebusse mit enttäuschten Rücksiedlern kamen nicht / Niemand weiß, wieviele Rücksiedler es gibt ■ Aus Magdeburg Jürgen Voges
Ein eigener Arbeitsstab beim Rat des DDR-Bezirks Magdeburg war prompt eingerichtet. Für die zentrale Anlauf- und Beratungsstelle für DDR-Rückkehrer, die sich an den Grenzübergängen zwischen Harz und Elbe melden würden, hatte der Rat des Bezirks ein Lehrlingsheim am Rande von Magdeburg von einem Tag auf den anderen räumen lassen. 17 weitere Unterkünfte in Internaten, Ferienlagern und „Objekten der Grenzkompanien“ standen im ganzen Bezirk bereit, um den angekündigten Strom der enttäuschten DDR-Auswanderer aufzunehmen.
Mit „zunächst 10.000 zurückkehrenden“ Bürgern rechnete Dr. Harry Zieten, zweiter Vorsitzender des Rates, noch am Mittwoch morgen und verwies auf die Mitteilungen des Roten Kreuzes der BRD. Doch in dem Magdeburger Lehrlingsheim, das seine jungen Bewohner nur murrend so überstürzt verlassen hatten, warteten die Berater und das Heimpersonal an diesem Mittwoch vergeblich auf die ersten Rückkehrer-Busse. Alle Nachrichten über die ersten beiden Transporte, die angeblich schon am Morgen die Grenze bei Helmstedt passiert haben sollten, lösten sich schließlich in Luft auf. Gestern dann versicherten die zuständigen Stellen des Roten Kreuzes in Bonn und auch in Niedersachsen, daß auf absehbare Zeit mit solchen Rücktransporten von DDR-Bürgern keinesfalls zu rechnen sei, und auch die Zahl von 10.000 Rückkehrwilligen, die in der DDR die ganzen Aktivitäten ausgelöst hatte, wollte die Bonner Zentrale des Roten Kreuzes nun „nie genannt“ haben.
Dennoch gibt es sie, die DDR-Rückkehrer, allein 20 von ihnen haben sich in den vergangenen Tagen beim DRK -Kreisverband Hannover beraten lassen. Doch auch sie nutzen die Reisefreiheit und konnten damit genausowenig statistisch erfaßt werden, wie auf der anderen Seite noch den Zahlen über ankommende DDR-Übersiedler zu trauen ist. „Die gehen einfach in den zurückflutenden Besucherströmen unter“, lautet die Auskunft beim Bundesgrenzschutzkommando Nord in Hannover. Wer noch - wie es bei vielen der Fall ist - einem DDR-Personalausweis habe, könne einfach nach Hause zurückfahren. Allein am vergangenen Wochenende haben von 2.600 neu in Niedersachsen registrierten DDR-Auswanderern etwa 100 kehrtgemacht und es keine 24 Stunden in den Notunterkünften ausgehalten. Aber auch ohne Abmeldung in Richtung DDR ist eine Rückkehr jederzeit möglich.
„Wir raten natürlich den Leuten sich abzumelden, aber oft wissen wir gar nicht, wohin sie das Lager verlassen“, erklärt dazu die Sprecherin des DRK Niedersachsen. Auch in der DDR wird die Zahl der Rückkehrer nicht zentral erfaßt. Solange der Arbeitsplatz und die Wohnung noch vorhanden seien, regt man an, daß die Rückkehrer direkt in ihre Heimatgemeinden reisen.
„Wieviel Übersiedler in der letzten Zeit in die Bundesrepublik gekommen sind und wieviele davon wieder zurückgekehrt sind, wird man, wenn überhaupt, genau in einigen Monaten wissen“, sagt der für das Zählen zuständige Beamte beim Grenzschutzkommando Nord, der sich in den vergangenen Tagen schon „wie das statistische Bundesamt vorkam“. Der BGS hat es inzwischen längst aufgegeben, die Übersiedler an der Grenze zu zählen.
Jürgen Voges
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