Amtsantritt von López in Mexico: Protestant des Volkes
Mexikos neuer Präsident ist kein Linker. Demokratische Prozesse bedeuten ihm wenig, die Marktwirtschaft mag er gern. Moralisch gilt er als unbefleckt.
Gleich nachdem ihm die MexikanerInnen am 1. Juli mehrheitlich ihre Stimmen gegeben haben, legte der 64-Jährige los. Seine Vertreter diskutierten mit, als es galt, mit US-Präsident Trump einen neuen Freihandelsvertrag zu vereinbaren. AMLO initiierte Foren, auf denen Angehörige von Gewaltopfern mit künftigen Regierungsmitgliedern über die katastrophale Menschenrechtslage sprachen. Seine Morena-Partei organisierte Volksbefragungen, in denen das Ende eines im Bau befindlichen Flughafens beschlossen wurde. Niemand interessierte sich noch für seinen regierenden Vorgänger Enrique Peña Nieto von der ehemaligen Staatspartei PRI. AMLO stahl ihm die Show.
Dazu gehört nicht viel. 125.000 Menschen sind in Peña Nietos Amtszeit ermordet worden, Zigtausende verschwunden. Der Drogenkrieg ging in unverminderter Härte weiter, die Lebenshaltungskosten stiegen immens. Zudem war er in einen Korruptionsskandal verwickelt und verhinderte gezielt, dass die Rolle von Soldaten und Bundespolizisten bei der Verschleppung von 43 Studenten des Lehrerseminars Ayotzinapa aufgeklärt wird. Peña Nietos Beliebtheitsgrad war vor den Wahlen in den einstelligen Bereich gesunken.
Das sind die Gründe dafür, dass López Obrador 53 Prozent aller Stimmen gewinnen konnte und seine Morena-Partei Parlament und Senat dominiert. Er hat allen alles versprochen: den Opferangehörigen, dass ihre Fälle aufgeklärt und die Straflosigkeit beendet wird; indigenen Gemeinden, dass sie über die Nutzung ihres Lebensraumes bestimmen können: Unternehmern, dass sie weiterhin zum Zug kommen, internationalen Investoren, dass sie in ihren Fabriken günstig produzieren können. Und dass Korruption und Militarisierung des Landes beendet werden. Das Militär werde zu einer „Friedensarmee“, behauptete er.
Ein ehrlicher Kapitalist
Nein, López Obrador ist kein Linker. Auch wenn aufgeregte Konservative ihn mit Venezuelas Ex-Präsident Hugo Chávez vergleichen und linke Aktivistinnen ihn gern so gesehen hätten. AMLO glaubt an einen ehrlichen Kapitalismus, seine Beliebtheit ist nicht zuletzt auf seine protestantische Ethik zurückzuführen. Man hält ihn für eine ehrliche Haut, und in der Tat ist er einer der wenigen hochrangigen Politiker, dem keine Korruption vorgeworfen werden kann. Er will nicht in den Präsidentenpalast einziehen, verzichtet auf die Hälfte seines Gehalts und eine militärische Leibgarde. Diese Austerität fordert er auch von der Verwaltung. Wer dem Volk dient, muss künftig sechs Tage die Woche arbeiten und auf Privilegien wie eine bessere Sozialversicherung verzichten. Viele Stellen des aufgeblähten Apparats sollen abgebaut werden.
Die Aufregung, die das unter staatlichen Angestellten hervorruft, gehört zu den kleineren Problemen, die AMLO haben wird. Der Versuch, Unternehmerinteressen und die Respektierung der Menschenrechte unter einen Hut zu bekommen, wird seine Amtszeit dominieren. Um Arbeitsplätze zu schaffen, will er wirtschaftliche Sonderzonen für internationale Investoren entwickeln. Indigene Gemeinden wehren sich schon lange gegen solche Projekte auf ihrem Boden. Für linke Basisorganisationen ist das ein Grund, ihm den Rücken zu kehren, denn Weltmarktfabriken, Bergbau- und andere Megaprojekte führen oft zu Menschenrechtsverletzungen.
Zugleich lässt der Politiker noch vor Amtsantritt entscheiden, dass ein Flughafen nicht gebaut wird – per Volksbefragung ohne verfassungsrechtliche Legitimität. Unternehmer, die bereits Millionen investiert haben, stehen Kopf. Indigene und Linke, denen das Projekt schon lange ein Dorn im Auge ist, sind dagegen zufrieden.
Angesichts der parlamentarischen Mehrheitsverhältnisse kann López Obrador tun, was er will. Zumindest, solange die Morena-Partei mitmacht, die ihre Existenz im Wesentlichen ihm verdankt. Das birgt große Gefahren, zumal AMLOs Legitimität vor allem eine moralische ist. Viele haben ihn gewählt, weil sie ihn für einen guten Menschen halten, der das Beste für sein Volk will. AMLO kommt aus der alten PRI-Schule, einer autoritären Struktur, in der demokratische Entscheidungsfindungen keine Rolle spielen. Auch er ließ bislang nicht erkennen, dass er darauf Wert legt. Menschenrechtsverletzungen sollen konsequenter verfolgt werden, weil er oder „das Volk“ es will, nicht weil eine demokratische Institution das einklagt. Wer seine Forderungen durchsetzen will, ob Flughafengegner oder Investoren, muss sich mit dem Präsidenten gut stellen.
Militäreinheit gegen Kriminalität
Die Konsequenzen dieser Haltung sind schon jetzt zu spüren. So weigert sich AMLO, der Generalstaatsanwaltschaft einen autonomen Status zuzugestehen – deren Regierungsnähe blockierte alle Ermittlungen über das Verschwinden der Ayotzinapa-Studenten. López Obrador will statt dessen für diesen Fall eine Wahrheitskommission ins Leben rufen. Zugleich wird er entgegen seinen eigenen Versprechen das Land weiter militarisieren und eine neue, 50.000 Personen starke militärische Einheit gründen, die gegen die kriminellen Kartelle vorgehen soll.
Indigene, soziale, feministische und andere Bewegungen werden also weiter Druck machen müssen, um ihre Anliegen durchzusetzen. Im Gegensatz zu seinem Vorgänger dürfte AMLO ein offenes Ohr für deren Forderungen haben, zumal einige Vertreter seiner Regierung diesen Gruppen nahestehen. Die zweite gute Nachricht: López Obrador ist kein aufgeregter Demagoge wie Chávez. Er wird nicht versuchen, Widersprüche zuzuspitzen, und bestenfalls für mehr Gerechtigkeit sorgen. In einem Land, das durch den Terror der organisierten Kriminalität und andere strukturelle Gewalt ständig zu explodieren droht, hat das fast etwas Beruhigendes.
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