Amtliches Ergebnis in Berlin: Die Wahl gilt – mit einem Aber
Das Ergebnis der Abgeordnetenhauswahl ist trotz Chaos nun amtlich. Allerdings will die Landeswahlleitung es in zwei Wahlkreisen anfechten.
In Charlottenburg-Wilmersdorf hatte im Wahlkreis 6 zunächst die SPD-Kandidatin Franziska Becker (SPD) mit wenigen Stimen Vorsprung gewonnen vor dem Grünen-Kandidaten Alexander Kaas Elias. Eine Nachzählung sah dann aber Kaas Elias als Sieger. In Marzahn-Hellersdorf geht es um das Direktmandat für den AfD-Abgeordneten Gunnar Lindemann. Er hatte knapp vor Gordon Lemm (SPD) gewonnen.
Am Ende aber segnete der Landeswahlausschuss das Wahlergebnis ab und machte es amtlich: Trotz der teilweise chaotischen Zustände vor Wahllokalen mit langen Warteschlangen und fehlenden oder falschen Stimmzetteln stimmte der Ausschuss am Donnerstag mit 8 zu 1 Gegenstimme dafür, das Ergebnis für die Abgeordnetenhauswahl und der Bezirkswahlen festzustellen. Damit ist nun, sobald das Ergebnis im Amtsblatt am 7. November veröffentlicht ist, der Klageweg offen. Dass es weitere Anfechtungen geben wird, gilt angesichts der bekannt gewordenen Fehler als sicher.
Die Landeswahlleiterin Petra Michaelis wirkte aufgeräumt an ihrem letzten Tag im Amt: Freundlich lächelnd trat sie am Donnerstagvormittag vor den Landeswahlauschuss, um das amtliche Endergebnis der Abgeordnetenhauswahl und der Bezirkswahlen von den Ausschussmitgliedern feststellen zu lassen – in jedem anderen Jahr eigentlich eine bloße Formalie, dass der Ausschuss dieses Ergebnis durchwinkt. Doch in diesem Jahr erfährt die Sitzung des Landeswahlausschusses im Bärensaal der Innenverwaltung in der Klosterstraße ungewohnte Aufmerksamkeit.
Die Presse ist versammelt, und der Ausschuss hat Nachfragen zu dem Bericht, den die wenige Tage nach der Wahl zurückgetretene Wahlleiterin Michaelis mitgebracht hat. Denn seit dem Chaos vor vielen Wahllokalen am 26. September steht die Frage im Raum, ob die Wahlen zumindest teilweise wiederholt werden müssen. Entscheiden muss das der Berliner Verfassungsgerichtshof.
„Das lief wie geschnitten Brot“
Klar ist nun: In 207 Wahllokalen hat es laut Michaelis „Unregelmäßigkeiten“ gegeben. Das gehe nach Auswertung aller Berichte aus den Bezirkswahlausschüssen hervor. „Eine Zahl, die uns alle erschrecken und auch ärgern muss“, sagte die Ex-Landeswahlleiterin. „Das heißt aber auch“, betonte Michaelis: „In über 2.000 Wahllokalen ist die Wahl völlig problemlos abgelaufen.“ Es seien Wahlvorstände zu ihr gekommen, die gesagt hätten: „Das lief wie geschnitten Brot. Ich verstehe gar nicht die Aufregung.“
Einzelne Ausschussmitglieder empfanden allerdings durchaus Aufregung am Donnerstag: Der Bericht übernehme „keine Verantwortung“, und überhaupt: Wo sei denn eigentlich Geisel? Innensenator Andreas Geisel (SPD) hatte bereits am 8. Oktober betont, es sei Verantwortung der Politik, eine „reibungslose“ Organisation der Wahlen sicherzustellen, und um Entschuldigung bei den Berliner WählerInnen gebeten.
Insgesamt erweckte der Bericht der Landeswahlleitung am Donnerstag folgenden Eindruck: Es war eine Mischung aus logistischer Fehlplanung, die schon in der Druckerei begann, weil Stimmzettelkartons falsch gepackt wurden. Die Bezirkswahlämter waren dann mit der Parallelität der Ereignisse und der schieren Masse der Stimmzettel überfordert. Und am Ende der Fehlerkette standen überforderte ehrenamtliche HelferInnen am Wahltag, die schlicht den Überblick verloren.
Die eklatantesten Fehler, die nun zu einer Wahlanfechtung führen könnten, sind falsch oder nicht ausgegebene Stimmzettel – die wiederum dazu führten, dass Menschen nicht wählen konnten oder ihre Stimmen ungültig waren. In 24 Wahllokalen seien insgesamt 1.608 Stimmzettel für die Erststimmen des Abgeordnetenhauses falsch gewesen, sagte Michaelis. In 56 Wahllokalen wurden rund 3.000 Stimmzettel für Erst- und Zweitstimmen nicht ausgegeben. Die Ursachen seien „nicht bekannt“, sagte Michaelis. Sie gehe von „einer Überforderung der Wahlvorstände aus.“
Unklar bleibt weiterhin, wie viele WählerInnen nicht wählen können, weil keine Stimmzettel ausgegeben und die Wahllokale zeitweilig geschlossen wurden. Insgesamt seien rein rechnerisch 48.000 Wahlberechtigte in 22 Wahllokalen betroffen, sagte Michaelis. In den Pankower Wahlkreisen 2 und 3 konnten zudem mindestens 138 Menschen nicht wählen, weil drei Wahllokale vor 18 Uhr geschlossen wurden. Am Freitag will sich der Innenausschuss mit dem Wahlchaos beschäftigen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen