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Amoklauf von Örebro„Die ganze Gesellschaft muss mithelfen“

Drei Monate nach dem Amoklauf von Örebro stellt die Polizei die Ermittlungsergebnisse vor. Die Tat hat das Land verändert.

Kurz nach dem Amoklauf: Blumen und Kerzen für die Opfer in Örebro Foto: Kuba Stezycki/reuters

Härnösand taz | Rickard Andersson tötete zehn Menschen, weil er seine über Jahre angestaute Frustration ausleben wollte: Mit dieser Begründung für den Amoklauf von Örebro muss Schweden jetzt zurechtkommen. Dreieinhalb Monate nach der Tat, die als schlimmste dieser Art in der modernen schwedischen Geschichte bezeichnet wird, stellte die Polizei am Freitagmorgen ihre Ermittlungsergebnisse vor.

Der Täter, der sich am Tatort schließlich selbst das Leben nahm, habe unter anderem unter dem Einfluss von Amphetaminen gestanden, hieß es auf der im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz. Sein eigenes Leben zu beenden, habe zum Plan des 35-Jährigen gehört.

„Er war tief frustriert über die vielen Widerstände, mit denen er zu kämpfen hatte“, sagte Einsatzleiter Henrik Dahlström. Eine zentrale Herausforderung sei für den Mann das Bestreiten des eigenen Lebensunterhalts gewesen.

In den ersten Wochen nach dem Amoklauf war in Schweden viel darüber geredet geworden, ob es sich um ein rassistisches Motiv handeln könne, da unter den Opfern mehrere migrantische Personen waren. Doch darauf deutet laut Polizei nichts an der Tat hin.

Mobiltelefon des Täters bis heute unauffindbar

Es sei zwar möglich, dass ihr Informationen fehle. So wurde das Mobiltelefon des Täters bis heute nicht gefunden, online hatte er offenbar bewusst kaum Spuren hinterlassen und zwei seiner Computer fand man ohne Festplatte. „Wir haben dennoch ein recht umfassendes Bild“, meinte der regionale Polizeichef Patrick Ungsäter.

Eine ganze Ansammlung von Ereignissen über einen langen Zeitraum hinweg liege dem Tatmotiv zugrunde. Das Bildungszentrum Riksbergska wurde wohl zum Tatort, weil der 35-Jährige einen persönlichen Bezug dazu hatte.

„Er hatte hier die längste zusammenhängende Beschäftigung, die mit seinem Lebensunterhalt verbunden war“, erklärte Dahlström mit Bezug auf finanzielle Studienunterstützung.

Die Ermittler gehen davon aus, dass der Plan über viele Monate entstanden war. Bereits im Herbst 2024 holte der Täter den Gitarrenkoffer von seinen Eltern, in dem er später seine drei Waffen transportierten würde. Im Januar kaufte er Munition, Messer und Rauchbomben.

„Die ganze Gesellschaft muss mithelfen“

Schon in den ersten Tagen danach, als Schweden sich schockiert frage, wie so etwas in ihrem Land überhaupt möglich sei, wurde einiges über das isolierte Leben des Täters bekannt.

Dass er spätestens im Gymnasium anfing, sich von anderen Menschen zurückzuziehen, berichteten ehemalige Mitschüler gegenüber schwedischen Medien. Er habe mit niemandem mehr kommuniziert. Aus der Verwandtschaft hieß es, er hatte irgendwann keine Freunde mehr. Rickard Andersson arbeitete nie und lebte jahrelang allein in einer kleinen Wohnung.

Irgendwann wurde ihm die Zahlung weiterer Sozialhilfe verweigert. Neuen Anspruch auf staatliche finanzielle Unterstützung erlangte er, indem er als Student am späteren Tatort seinen Willen zur eigenen Weiterbildung zeigte.

Den Polizeichef veranlassten die Erkenntnisse am Freitag zu einer Aufforderung: „Die ganze Gesellschaft muss mithelfen und auf diese Art von Menschen aufmerksam machen, die einsam und isoliert leben.“

Änderung der traditionellen Offenheit in Schweden

Die Regierung kündigte kurz nach der Tat ein Verbot von halbautomatischen Waffen an. Zudem plant sie eine Änderung des Schulgesetzes. Laut dem Vorschlag, der im Juli in Kraft treten soll, muss künftig der Schulträger dafür sorgen, dass es an jeder Schule einen Bereitschaftsplan für den Fall einer ernsten Gewalttat oder der Androhung einer Gewalttat gibt.

Der Zutritt für unbefugte Personen zu Schulgebäuden soll erschwert werden, etwa durch Zutritt per Codes – eine deutliche Änderung der traditionellen Offenheit in Schweden. Zudem kann künftig die Schulleitung entscheiden, ob eine Durchsuchung von Taschen zur Verhinderung von Gewalttaten nötig und angemessen erscheint.

Erst vor wenigen Tagen sind die letzten beiden schwerstverletzten Opfer aus dem Krankenhaus entlassen worden. Die Tat wirkt nach, vor allem bei den Überlebenden und den Hinterbliebenen, aber mit ihren gesellschaftlichen Folgen auch in Schweden insgesamt.

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