Amnestie für wen?: Freiheit ohne Sozialismus
■ Nur 22 DDR-Kriminelle zu Haft verurteilt
Vom Amnestie-Vorstoß der PDS-Abgeordneten Kenzler wären nur ganz wenige ehemalige DDR-Offizielle betroffen. Die juristische Aufarbeitung der DDR-Regierungskriminalität gilt als weitgehend abgeschlossen, die meisten Ermittlungen sind längst eingestellt. Nur noch in einigen Dutzend Fällen wurden Haftstrafen ohne Bewährung verhängt; einige der prominenten Häftlinge sind längst wieder frei.
In Berlin, wo die meisten und die schwersten Fälle von DDR- Regierungs- und Vereinigungskriminalität bearbeitet wurden, sind bis Mitte dieses Jahres mehr als 90 Prozent der insgesamt 22.550 Ermittlungen eingestellt worden. In nur 2,2 Prozent der Fälle wurde überhaupt Anklage erhoben – gut 200 Angeklagte sind rechtskräftig verurteilt. Ganze 22 von ihnen erhielten Freiheitsstrafen ohne Bewährung. Die höchste Strafe bekam Ex-Verteidigungsminister Heinz Keßler, der wegen der Mauertoten zu siebeneinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Allerdings wurde Keßler schon Ende Oktober vorzeitig aus der Haft entlassen.
Auf freiem Fuß ist auch sein ehemaliger Stellvertreter Fritz Streletz, der wegen der Mauerschüsse fünfeinhalb Jahre Haft bekommen hatte. Der frühere Chef der DDR-Grenztruppen, Ex-General Klaus-Dieter Baumann, ist nach Angaben des Berliner „Solidaritätskomitees für Opfer politisch Verfolgter“ noch im Gefängnis, inzwischen aber Freigänger. Baumann war in den Mauertoten-Prozessen zu sechseinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Auch Generalleutnant Karl Leonhardt (drei Jahre und neun Monate Haft) ist nach Angaben des Komitees Freigänger.
Auf freiem Fuß ist der letzte DDR-Staats- und Parteichef Egon Krenz, der wegen der Toten an Mauer und Stacheldraht zu sechseinhalb Jahren Haft erhalten hatte. Das Urteil ist immer noch nicht rechtskräftig. Nick Reimer
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