American Pie: Feine Linie zum Chaos
■ Immer für eine Überraschung gut: Die Faustkämpfer des Box-Paten King
You both kicked off your shoes
Als Mike Tyson vor drei Jahren aus dem Gefängnis kam und seine ersten Kämpfe gewann, schien die Welt des Don King so wunderbar zu funktionieren wie selten zuvor. Inzwischen muß sich der Box-Promoter mit der erigierten Haartracht vorkommen, als sei ihm der Himmel auf den Kopf gefallen. Es begann mit dem im Kampf gegen Axel Schulz gedopten François Botha, dann kam Oliver McCall, der weinend im Ring zusammenbrach. Die Sache steigerte sich vor zwei Wochen mit Ohrknabberer Mike Tyson. Am letzten Samstag schließlich setzte Henry Akinwande, der den WM-Fight gegen Lennox Lewis mit einem Ringkampf nach griechisch-römischer Art verwechselte, den vorläufigen Schlußpunkt. All jene ungezogenen Boxer stehen bei King unter Vertrag, und man fragt sich, wie ihm eigentlich Andrew Golota durch die Lappen gehen konnte, der im letzten Jahr zweimal wegen Tiefschlagens disqualifiziert wurde.
Weiterhin fragt man sich, wieso noch jemand mit King Geschäfte macht. Die Boxfans wissen jedenfalls, wem sie den Niedergang des Schwergewichtsboxens zu verdanken haben. Die 2.000 Unentwegten, die sich in Lake Tahoe zum Kampf der beiden Briten Lewis und Akinwande eingefunden hatten, pfiffen Don King heftig aus.
Die Athletenkommission von Nevada hat nach dem Tyson-Debakel schnell reagiert, zumindest was das eigene Bankkonto anbelangt. Eine neue Bestimmung gestattet ihr, die gesamte Börse eines verhaltensauffällig gewordenen Boxers zu behalten. Schlecht für Akinwande, der seine Million Dollar möglicherweise in den Wind schreiben kann. Tyson mußte nach alter Regelung nur zehn Prozent von seinen 30 Millionen zurückerstatten.
Eine erster Schritt, aber in die falsche Richtung. „Es gibt eine feine Linie zwischen Boxen und Chaos“, hat der Kommissionschef Marc Ratner gesagt. Vielleicht wäre es am besten, diese künftig einfach zu ignorieren. Keinen ehemaligen Jugendrichter mehr als Referee, wie Mills Lane, der sowohl Tyson als auch Akinwande aus dem Ring nahm, sondern Unparteiische vom Profi-Wrestling, die immer dann woanders hingucken, wenn gerade getreten, gebissen, gespuckt oder gewürgt wird. Bei den Summen, die im Boxen gezahlt werden, wird das eine oder andere Ohr ja wohl verzichtbar sein. Und wieso es erlaubt sein soll, einem Kontrahenten das Großhirn zu zermanschen oder das Nasenbein zu zertrümmern, aber verboten, ihn fünf Runden lang freundschaftlich zu umarmen, vermag eh niemand einzusehen.
Laissez-faire heißt die adäquate Strategie zur Runderneuerung des Profiboxens, und man darf getrost davon ausgehen, daß den Drahtziehern dieses Sports genau das vorschwebt. Wie sagte doch Tysons Anwalt Oscar Goodman? „Er bringt sehr viel Geld, und das ist es, worum es in dieser Stadt letztlich geht.“ Gemeint war Las Vegas, und natürlich hat Goodman recht. Spätestens in einem Jahr wird Tyson seine Lizenz wieder haben und zum nächsten „Bite of the century“ schreiten dürfen, Akinwande bekommt seine Revanche, Oliver McCall seine „allerletzte“ Chance, Don King scheffelt weiter Geld, und irgendwann wird sogar Axel Schulz wieder um WM-Ehren streiten dürfen.
Die nächsten Höhepunkte sind ohnehin längst terminiert. Im August boxt „Mr. Low Blow“ Andrew Golota gegen Ray Mercer, und dann in Bälde Lennox Lewis gegen George Foreman, einst als Killer im Ring gefürchtet, mittlerweile der letzte Gentleman seines „Sports“. „Ich wäre sehr gern die Rettung des Boxens“, sagt der 48jährige, „aber langsam werde ich alt.“ Matti Lieske
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