American Football: Hässliches Entlein ohne Illusionen
Die New York Jets sind auf dem Weg zur Super Bowl. Das ist eine Überraschung. Und nicht gern gesehen.
Sie machen sich keine Illusionen. Keiner kann sie leiden. Sie stören bloß. Die New York Jets sind nicht nur die Überraschungsmannschaft in den diesjährigen NFL-Playoffs, sie sind der kleinkriminelle Onkel, der die gute Stimmung am Heiligen Abend mit obszönen Witzen versaut. Sie wissen es selbst. Und sie sind stolz darauf: "Wir sind der Partyschreck", grinst Bart Scott.
Bart Scott ist Verteidiger. Und die Verteidigung ist der Hauptgrund, warum diese New York Jets überhaupt das Halbfinale erreicht haben. Keine andere Mannschaft unterbindet so radikal und gnadenlos das gegnerische Angriffsspiel. "Es war hässlich", kommentierte Scott den 17:14-Viertelfinalerfolg bei den klar favorisierten San Diego Chargers, "aber so spielen wir halt."
Nein, schön anzuschauen ist das nicht, was die Jets bieten. Aber effektiv. Gegen die Chargers stand ihnen zwar auch das Glück zur Seite, weil deren Kicker Nate Kaeding, der zuvor statistisch gesehen sicherste in der Geschichte der NFL, gleich zwei Fieldgoal-Versuche aus weniger als 40 Yards Entfernung versiebte. Das war Kaeding seit drei Jahren und 69 Versuchen nicht mehr passiert. Spielentscheidend aber war vor allem, dass es den New Yorkern gelang, den explosiven Angriff der Chargers um Philip Rivers einzudämmen.
Ähnliches müssen die Jets allerdings noch einmal am kommenden Sonntag vollbringen, um die Super Bowl zu erreichen. Zum Halbfinale reisen sie zu den Indianapolis Colts, deren Quarterback Peyton Manning allgemein als bester seines Fachs gilt. Dabei können die Jets sich orientieren an ihrem Auftritt in Indiana vor drei Wochen. Nicht nur begannen sie damals ihre unwahrscheinliche Siegesserie, sondern fügten den bis dahin ungeschlagenen Colts auch deren erste Saisonniederlage zu. Der 29:14-Sieg hatte allerdings einen Schönheitsfehler: Die bereits sicher für die Playoffs qualifizierten Colts setzten zu Beginn der zweiten Halbzeit, mit einer Führung im Rücken, den Großteil ihrer Erstbesetzung, darunter auch einen augenscheinlich ziemlich ungehaltenen Manning, zur Schonung auf die Bank.
Ohne diesen Erfolg gegen die zweite Garnitur der Colts hätten die Jets nicht einmal die Playoffs erreicht. Ein Umstand, der ihnen im Vorfeld des Halbfinals so regelmäßig vorgehalten wird, dass sie daraus Motivation beziehen. "Wir haben Glück gehabt, sicher", gibt Cheftrainer Rex Ryan zu, "ich weiß auch, dass sich niemand so richtig auf uns freut. Aber was soll man machen? Jetzt kommen wir."
Und wie sie kommen. Das Spiel der Jets lebt vor allem von Kampf und Einsatz. Und das nicht nur in der Verteidigungsarbeit, sondern auch in der Offensive. Die wird gewöhnlich bestimmt von den Quarterbacks, den Ballverteilern und Stars ihrer Teams. Mit Manning, Drew Brees von den New Orleans Saints und Brett Favre von den Minnesota Vikings, die sich im zweiten Halbfinale gegenüberstehen werden, sind noch große Könner im Wettbewerb, die mit spektakulären Pässen versuchen, schnell großen Raumgewinn zu erzielen. Die Jets haben da nur Mark Sanchez im Angebot, der in seinem ersten Profijahr steht und von seinem Cheftrainer Ryan vornehmlich damit betraut wird, den Ball den Running Backs zu übergeben, die dann so lange gegen die Wand aus Verteidigern anrennen, bis die zum Einsturz kommt. "Das ist Abnutzungsarbeit", erläutert Shonn Greene, einer jener Ballträger, "und macht sich am Ende eines Spiels bezahlt."
Am Ende des kommenden Spiels könnten die New York Jets dann doch tatsächlich die Super Bowl erreicht haben. So rührend die Geschichte vom hässlichen Entlein auch wäre, die NFL sähe wohl trotzdem lieber ein paar aufregende Offensivreihen antreten in ihrem Endspiel, das traditionell das größte amerikanische TV-Ereignis des Jahres ist. "Ich kenne die Liga und wir alle wissen doch, dass jedermann Favre und Manning in der Super Bowl sehen will", so Bart Scott, "wir sind keine gute Unterhaltung, wir sind die alten, grimmigen Jets. Aber wir zwingen ja auch keinen dazu, uns zuzugucken."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Pelicot-Prozess und Rape Culture
Der Vergewaltiger sind wir
100 Jahre Verkehrsampeln
Wider das gängelnde Rot
++ Nachrichten zum Umsturz in Syrien ++
Baerbock warnt „Assads Folterknechte“
Trendvokabel 2024
Gelebte Demutkratie
Rechtsextreme Demo in Friedrichshain
Antifa, da geht noch was
Mord an UnitedHealthcare-CEO
Gewalt erzeugt Gewalt