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Ambros Waibel übrigensSchafft die Bahn­reservierungen einfach ganz ab!

Foto: privat

Nächste Woche darf ich allein Bahn fahren, ohne Kinder, ohne krächzende „Ihr Kinderwagen versperrt den Durchgang“-Durchsagen gefolgt von genervt-verzweifelten „Aber wo soll er denn hin?“-Antworten, ohne dumpfe Blicke und nett gemeinte Erziehungstipps.

Beziehungsweise: All das werde ich wahrscheinlich erleben. Aber ich werde nicht als Protagonist dafür zuständig sein, sondern nur als jemand, der genießen kann und nicht drängeln muss, der in zugewandter, aber nicht übergriffiger Gleichgültigkeit sich eh irgendwann im Bordbistro niederlässt. Trotz Andi Scheuer und anderer CSU-Verkehrsminister ist Bahn fahren für erwachsene Alleinreisende nämlich immer noch das: eine Wohltat – zumindest im Vergleich zu zehn Minuten auf einer deutschen Autobahn.

Eine italienische Mutter hat sich diese Woche mit einem Brief an die Zeitung Corriere della sera gewandt und eine Reise von Rom nach Mailand mit ihren Kindern beschrieben. Giacomo, 6, und Filippo, 7, schreibt sie, schlafen, spielen und lesen, aber sie stehen tatsächlich auch mal auf! Einmal streift Giacomo dabei mit seinem Fuß das Bein des vierten Passagiers am Tisch. Die ­Mutter entschuldigt sich sofort, aber aus dem Mitfahrer platzt es jetzt heraus, er habe drei Stunden lang das Unerträgliche ertragen, die Schuld liege nicht bei den Kindern, sondern bei den Eltern. Am Ende des Briefs schreibt die Mutter: „Wenn die Toleranzschwelle für die Anwesenheit von zwei oder mehr Kindern und für die entstehenden Unannehmlichkeiten so niedrig ist, dann verdienen wir vielleicht wirklich die Ausrottung.“ Na ja, es ist eher ein langsames Aussterben: 2024 wurden in Italien statistisch 1,18 Kinder pro Frau geboren, der niedrigste Wert seit Beginn der Aufzeichnungen. Es gibt inzwischen mehr über 80-Jährige als Kinder unter zehn Jahren.

Ambros Waibel

ist seit 2008 Redakteur der taz und arbeitet im Ressort taz zwei, Gesellschaft und Medien.

Ich denke bei der Sache an die hiesige Debatte über die Abschaffung der Familienreservierung und schlage vor: Reservierungen grundsätzlich abschaffen. Menschen über 80, unter zehn und andere mit Einschränkungen, inklusive ihrer jeweiligen Betreuungspersonen, erhalten schlicht zuerst Zugzugang. Alle anderen Erwachsenen verhalten sich wie Erwachsene: rücksichtsvoll, auch mal stehend und auf jeden Fall in Vorfreude auf eine Zugfahrt, bei der sie nur für das eigene Glück verantwortlich sind.

Trotz Andi Scheuer ist Bahn fahren für Alleinreisende eine Wohltat

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