Am frühen Morgen: Steilflug auf Hemsedals Pisten
In Hemsedal wedeln Könige und Profis durch den Tiefschnee. Rund um die Talstation soll ein autofreies Dorf nach amerikanischem Vorbild entstehen.
Bei jedem Schwung auf der nahezu völlig menschenleeren Piste funkeln die Schneekristalle in der aufgehenden Sonne. Minus 10 Grad Celsius zeigt das Thermometer. Die trockene Luft und der herrliche Pulverschnee lassen jegliches Kälteempfinden im Nu verschwinden. Die müden Stellen im Gesicht sind in Sekundenschnelle verflogen. Die totale Stille wird lediglich durch das Geräusch der eigenen Skikanten unterbrochen. So weit das Auge reicht, breitet sich ein herrliches Alpenpanorama aus - und dies mitten in Norwegen.
Keine Frage, das frühe Aufstehen hat sich gelohnt. Außer mir tummeln sich gerade einmal eine Hand voll Wintersportenthusiasten auf den 46 erstklassig präparierten Pisten, die sich von den drei sanften Bergkuppeln am Totten (1.497), Tinden (1.444 Meter) und Røgjn (1370 Meter) ins Tal winden.
Für Genussskifahrer und jene, die einmal ungehindert mit maximaler Geschwindigkeit ins Tal preschen wollen, lautet in Hemsedal, im Herzen der skandinavischen Berge, das Motto „Der frühe Skifahrer wedelt nach Herzenslust“. Denn mittwochs und samstags von 7.30 bis 9 Uhr steht die alpine Abfahrtswelt maximal 75 Personen offen. Das Pistenerlebnis der besonderen Art kostet inklusive Frühstück (ab 7 Uhr) in der „Skistua“ nicht weit von der Talstation 150 Kronen (ca. 39 Euro).
Wer sich dann ab 9 Uhr tagsüber trotz minimaler Wartezeiten an den 21 Liften noch nicht ausgelastet fühlt, kann sich dienstags bis freitags jeweils von 17.30 bis 21 Uhr auf zwei beleuchteten Pisten für weitere dreieinhalb Stunden unter Flutlichtmasten austoben. „Wir sind verglichen mit den Alpen sicherlich ein kleines Skigebiet, bieten aber für jede Niveaustufe optimale Bedingungen“, verweist Odd Holde, Marketingmanager von Hemsedal, auf die Tatsache, dass den Wintersportlern neben 42 Pistenkilometern rund 210 Kilometer Langlaufpisten zur Verfügung stehen.
Innovation Norway, Postfach 113317, 20433 Hamburg, Tel. (01 80) 5 00 15 48 (12 Cent/Min.), www.visitnorway.com, www.hemsedal.com.
Anreise: Hemsedal liegt ca. 220 km nordwestlich von Oslo, Fluginfos unter www.scandinavian.net. Vom Flughafen verkehrt ein Shuttlebus nach Hemsedal. Autofähren gehen ab Travemünde nach Oslo
Die Könner auf Kufen und Kanten müssen sich allerdings mit fünf verhältnismäßig kurzen schwarzen Abfahrten begnügen. Dafür wartet eine Vielzahl an steilen Tiefschneehängen darauf, entdeckt zu werden. Diese sind weitaus ungefährlicher als beispielsweise in den Alpen, da Lawinengefahr hier selten gegeben ist. Zudem werden auch die Tiefschneeareale genauso häufig kontrolliert wie die nummerierten Pisten. „Die norwegische Nationalmannschaft ist jeden Winter für mehrere Wochen bei uns zu Gast“, sagt Odd Holde stolz und will damit ausdrücken, dass das kleine, aber feine Skigebiet auch höchsten Ansprüchen genügt.
Auch der norwegische Thronfolger Haakon und seine Gemahlin Prinzessin Mette-Marit fühlen sich in der weißen Pracht von Hemsedal königlich wohl. Als Stammgäste tummeln sich die beiden vorzugsweise im Snowboardpark an der Lialøypa, in dessen Planung und Fertigstellung die beiden Weltklassefahrer Daniel Franck und Lars Eriksen eingebunden waren.
Auf dem sechshundert Meter langen und fünfzig Meter breiten Parcours finden Snowboarder neben einer Bump-Aera ein 360-Grad-Karussell, Bordercross und zwei Half-Pipes. Natürlich dürfen auch zahlreiche Jumps nicht fehlen. Die größte Schanze, die in Anlehnung an das Pendant in Oslo liebevoll „Mini-Holmenkollen“ genannt wird, ermöglicht Sprünge von bis zu vierzig Metern.
Große Sprünge plant auch die Gemeinde Hemsedal. Denn das Straßendorf möchte binnen zehn Jahren zum größten Skiresort Skandinaviens aufsteigen. Die Rahmenbedingungen sind viel versprechend. Von November bis Mai ist Hemsedal absolut schneesicher. Schon jetzt wird das komplette Wintersportprogramm von Abfahrt- über Langlaufski bis hin zu Schneewanderungen, Schlittenhundsafaris und Schneemobiltouren geboten. Von den Hütten und Hotels um Skarsnuten und Vesletøyen beginnt das Skivergnügen direkt vor der Tür.
Allein fehlt es in der 2.000-Seelen-Gemeinde bis dato an der notwendigen Infrastruktur und entsprechenden Übernachtungskapazitäten. „Zurzeit stehen hier zehn Häuser in zwanzig Reihen“, flachst Odd Holde mit Blick auf die derzeit rund 6.000 Betten. Bis 2015 soll die Zahl verdoppelt werden. Mit Hilfe eines von kanadischen Spezialisten der Firma Ecosign ausgearbeiteten Bebauungsplans will sich das norwegische Wintersportparadies zunehmend mit der Konkurrenz in den Alpen und den nordamerikanischen Rocky Mountains messen. Ein ehrgeiziges Vorhaben, in dessen Realisierung die Gemeinde Hemsedal und der Pistenbetreiber Skistar nicht weniger als 125 Millionen Euro investieren wollen.
Saisonal bedingt kann jeweils nur zwischen Mai und Oktober gebaut werden, was erklärt, warum für die Entwicklung des Gebiets ein Zehnjahresplan aufgestellt wurde. Das Waldgebiet am Røgjn soll für die Abfahrer erschlossen und damit die Pistenlänge auf 75 Kilometer ausgedehnt werden. Parallel dazu soll rund um die Talstation ein neues, autofreies Dorf nach amerikanischem Vorbild mit Hotels, Restaurants, Geschäften und Tiefgarage entstehen. „Man muss das Rad ja nicht neu erfinden“, meint Odd Holde und erklärt frank und frei, während der knapp sechsjährigen Planungsphase insbesondere in Vail im US-Bundesstaat Colorado bei zahlreichen Besuchen vor Ort Ideen und Inspirationen gesammelt zu haben.
Und nun schickt sich der kleine Lehrling an, dem großen Lehrmeister Konkurrenz zu machen. Dazu soll auch der Regionalflughafen in Fagernes beitragen, der zunehmend von europäischen Billigfluglinien als neuer Zielflughafen angesteuert wird. Die ersten Ferienflieger aus Großbritannien und Holland sind hier bereits gelandet. Fluggesellschaften aus anderen Ländern sollen folgen, was sicherlich einen weiteren Schub für die norwegische Wintersportregion geben dürfte, sodass Hemsedal tatsächlich zum geplanten Steilflug ansetzen kann.
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