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Am flottesten ist die Umbaumusik

■ Caryl Churchills „Besitzer“ wurde in Konstanz erstaufgeführt

Lisa ist mit Alec, Alec hatte mal mit Marion, Marion mit Worsely; verheiratet ist sie mit Clegg, und der treibt's mit Lisa. Was für eine Komödie. Marion will Lisa und Alec aus einem Altbau ekeln, um ihn teuer verkaufen zu können: ein Sozialreport. Der Metzger Clegg schmiedet Mordpläne gegen seine Frau, seit die sich mit eigenem Geschäft emanzipiert hat: ein Alltagskrimi. Weil alle auch etwas — Macht, Dinge, Menschen — besitzen wollen, ist es eine Parabel, wenn der gleichgültige Alec für ein fremdes Baby ins Feuer geht, ein philosophisches Apercu. Und im tiefsten Kern natürlich eine Liebesgeschichte: Marion liebt Alec, seine Apathie ist das Messer in ihrem Leib.

Caryl Churchill breitet in ihrem Stück Besitzer eine ganze Palette Geschichten aus, den Regisseur Peter Rein interessiert keine einzige. Er verfolgt mit seiner Inszenierung keine Idee, stellt nicht einmal Fragen, läßt alles zerfleddern. Markus Grafs Alec, immerhin der Mann, den die Frauen lieben, steht herum, als sei er im falschen Stück; die sonst so beeindruckende Judith von Radetzky ist hilflos allein gelassen, einzig Frank Lettenewitsch strotzt vor Präsenz. Er spielt den rachgierigen Metzger Clegg wie eine Fleischersau. Mit den Schweinsseiten tanzt er; daß die Hunde sich darum streiten, amüsiert ihn, Frauen will er folgsam, und wer in den Verdacht kommt, auf der seinen gelegen zu haben, kriegt schon mal ein Messer neben den Kopf. Die Mischung aus brutaler und geiler Machotype ist nicht eben originell, aber immerhin eine Figur.

Caryl Churchill zeigt mit Vorliebe toughe Frauen, und sie präsentiert sie als Produkte einer kaputten Gesellschaft, in der alle Dreck am Stecken haben. Während die anderen apathisch, verlogen oder auf dem Mitleidstrip sind, nehmen diese Karrieristinnen die Fäden in die Hand, boxen sich hoch und gehen auch über Leichen. Sie sind die effizienteren Männer, weil sie pragmatisch denken und mit sich ehrlich sind. Die Frage nach Schuld ist kurios, wo die eigenen Gefühle ausgeglühter sind als Stahl.

Doch nichts ist so ernst, daß man darüber nicht lachen könnte. Ist es eine Tragödie, ist es eine Komödie? In jedem Fall liebt die Autorin das Groteske, den schrillen Witz im banalen Alltag, steinerweichende Sentimentalität, Leichenfledderei, die große Stille und den dummen Gag. Das weiß man spätestens seit Top Girls, die in Konstanz (sowie im „Kleinen Haus“ in Stuttgart) zu sehen waren, und das gilt auch für das etwas stereotype Stück Besitzer (1972). Die Rollen sind Schauspielerfutter, Komödientypen, grundiert von Verlust und Trauer. Eigentlich will Marion nur ihre alte Liebe Alec wiederhaben, für den Metzgerbrutalo war ihr Seitensprung eine nie heilende Verletzung, und Worsely sucht vergeblich sich durch Selbstmordversuche von seiner Liebe zu erlösen.

Welche Möglichkeiten hätte das geboten, jede Figur mit eigener Dynamik und Rhythmus zu versehen. Daß Worsely sich beispielsweise jedesmal ein Stück weiter eingipst, macht ihn zunehmend zur Marionette. Außer dem Gips zeigt Günther Groß davon wenig. Kein Wunder, daß Spannungen zwischen den Figuren fehlen; selten erlebt man die Figuren im Raum. Da herrscht Probenatmosphäre, der blaue Kasten, den Colin Walker auf die Bühne gebaut hat, wirkt wie ein Verhüllungsakt à la Christo.

Um wieviel eleganter so etwas geht, zeigte wenige Tage zuvor Armin Kerber mit Rudolf Herfurtners Renner Geheime Freunde. Die Spielfläche war offen, die Schauspieler nahmen vom Raum Besitz, in den besten Momenten brachte Kerbers glückliche Hand mit aufkeimenden Liebesgeschichten und jungen Schauspielern das Spiel ins Schweben, ungeachtet aller Themenschwere von Kindergrausamkeit bis Rassismus und psychischer Zerstörung. Für dieses Mal, für Churchills Besitzer, war das Flotteste die Musik in den Umbauten, und die stammt aus den zwanziger Jahren. Gerhard Mack

Caryl Churchill: Besitzer. Regie: Peter Rein, Bühne und Kostüme: Colin Walker; mit Judith von Radetzky, Frank Lettenewitsch, Luise Sivers, Markus Graf u.a., Stadttheater Konstanz. Nächste Vorstellungen: 15., 16., 21., 26.März und 2. und 7.Mai um 20Uhr.

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