: Am Hafen spielt wieder Musik
Nach Universal und Sony zieht nun auch MTV an den Berliner Osthafen. Damit ist das Viertel zum Zentrum der Musikindustrie geworden und hat die Konkurrenz aus Köln und Hamburg abgehängt
VON RICHARD ROTHER
„Emm-tieh-wie? Sacht mir nüscht“, meint der Angler, auf die Spree starrend. An diesem schönen Frühlingsmorgen haben sie noch nicht gebissen – die Bleie, Plötzen, Barsche, die durchaus aus dem schmutzigen Wasser zu ziehen sind. Entsprechend schlecht gelaunt ist der etwa 50-jährige Mann, und er schaut stur auf die Pose, die in den Wellen schaukelt. Der schöne Panoramablick über die Spree, von der Oberbaumbrücke über die Universal-Zentrale und die künftigen MTV-Studios bis hin zur Elsenbrücke, interessiert den Angler nicht, der ist was für Touristen und Neu-Berliner.
Neu-Berliner wie die rund Mitarbeiter des Musik- und Jugendsenders MTV, die an diesem Wochenende von München in die Hauptstadt ziehen. Rund 90 Prozent sind dabei, wenn am Montag MTV Central Europe offiziell seinen Hauptsitz von der Isar an die Spree verlegt. Das künftige Domizil der rund 115 Beschäftigten ist eine ehemalige Lagerhalle an der östlichen Spreeseite zwischen Oberbaum- und Elsenbrücke, in unmittelbarer Nachbarschaft zur Universal-Zentrale und einem Kies- und Baustoffhafen, den die landeseigene Berliner Hafen- und Lagerhausgesellschaft (Behala) betreibt.
Gestern herrschte hier noch geschäftiges Treiben: Mitarbeiter von Umzugsfirmen schleppen Kartons in Räume, die von hellen Klinkerwänden umgeben sind; die Fußbodenplatten werden verlegt; polnisch sprechenden Putzfrauen säubern künftige Büros, von denen man direkt auf die Spree und die künftigen Badecontainer an der Arena schauen kann. Etwas ruhiger geht es in einem sporthallengroßen Studio zu: hier werden letzte Kabelanschlüsse installiert. Für Anfang Mai ist hier die erste Livesendung geplant.
Die Behala hat das künftige MTV-Gebäude, das unter Denkmalschutz steht, saniert. Rund 12 Millionen Euro sollen dafür ausgegeben worden sein. Unterstützt wurde das Vorhaben auch von der Europäischen Kommission. Der Ostteil der Stadt gehört zum so genannten Ziel-1-Gebiet der EU, bietet für Investoren damit höchste Fördermöglichkeiten. Zum Missfallen von Konkurrenten wie Hamburg oder München, die wichtige Unternehmen oder Verbände der Musikbranche an die Spree ziehen lassen mussten.
Da aber alle Konkurrenten Zuschüsse geboten haben, dürften diese letztlich nicht ausschlaggebend für den Umzug gewesen sein. Auch MTV-Sprecherin Verena Adami weist diesen Vorwurf entschieden zurück: „Wir sind umgezogen, weil wir uns zentralisieren mussten.“ Mehrere MTV-Standorte würden nun in Berlin zusammengefasst, die Trennung sei auf Dauer sehr teuer. Die Wahl sei letztlich auf Berlin gefallen, weil sich die Stadt zu einem Musikzentrum entwickle. Neben MTV sitzen in Berlin auch Universal Music, Sony und einige Branchenverbände. Und im September findet erstmals die Popkomm in Berlin statt.
Zudem sei Berlin eine kreative Stadt, so Adami. „Die Stadt und die Marke MTV passen zueinander.“ Der Sender suche immer wieder nach „neuen Trends“. Und er hofft, in der breiten Berliner Club- und Musikszene am ehesten fündig zu werden.
Dass die gesamte Branche unter Umsatzeinbrüchen leidet, betreffe MTV höchstens indirekt, so Adami. Im Fernsehen habe es noch nie so viele Musiksendungen wie heute gegeben. MTV habe deutlich zugelegt.
In der Tat kann es einem Fernsehsender egal sein, ob die Jugendlichen Musiktitel kaufen oder downloaden – Hauptsache, sie sitzen vor dem Bildschirm. Nur die Plattenfirmen, die früher die größten Werbekunden gewesen seien, überprüften nun ihre Budgets.
Auch die Querelen um die Love Parade lassen die MTV-Sprecherin kalt. Bei der Love Parade sei der Sender nicht dabei, und ein, zwei Teams könne man auch in jede andere Stadt schicken. „Wir setzen auch unsere eigenen Events.“ Gemeint ist etwa der Rock am Ring in Hockenheim, Rock im Park in Nürnberg oder die Hiphop Open in Stuttgart.
An der Spree hingegen soll sich nach den Plänen der Behala eine „Medienmeile“ entwickeln. „Die Ansiedlung der Deutschlandzentrale des Musikkonzerns Universal vor zwei Jahren hat eine Magnetwirkung“, so Behala-Geschäftsführer Horst Schuberth.
Auch für weitere nicht mehr benötigte Hafenflächen gebe es Interessenten. „Für eine moderne Lagerhaltung ist am Osthafen zu wenig Platz“, sagt Schuberth. Nicht weit hinter der Kaimauer wohnten zudem viele Menschen, denen mehr Staub und Lärm nicht zuzumuten seien. Das Areal sei daher nicht dauerhaft für den Hafenbetrieb vorgesehen.
Was dem Angler am anderen Spreeufer schnuppe ist, ist dem Geschäftsmann nicht egal. Ein Kreuzberger Handwerker, der moderne Musikinstrumente repariert, freut sich schon auf die Ankunft des Musiksenders. „Wenn die mich kennen und ihre Leute zu mir schicken, ist das gut für mich.“