: Am Ende bleibt nur noch die Darmtätigkeit
■ Mysterien des Alltags: Der Wahl-Hamburger Ingvar Ambjörnsen widmet seinen neuen Roman „Lieb mich morgen“ zum vierten Mal der sympathischen Nervensäge Elling
„Einige Millionen sitzen jeden Moment auf dem Klo, in einer lärmenden Gemeinschaft aus Erleichterung und Schmerz“ – das Sinnieren über derartige Sachverhalte bringt Elling um den Schlaf. In seinem Zimmer mit Ausblick auf einen tristen Osloer Hinterhof grübelt der 40-jährige „Frührentner“ allnächtlich über die alltäglichen Mysterien – wovon die Körperhygiene nicht eben profitiert: „Ein herber Geruch umgab mich.“
Elling, der Ich-Erzähler aus Ingvar Ambjörnsens neuem Roman „Lieb mich morgen“, ist Stammgast im ×uvre des 1956 geborenen Schriftstellers: Bereits zum vierten Mal hat Ambjörnsen, der in seiner norwegischen Heimat eine Art Literatur-Superstar ist und seit 15 Jahren die Anonymität in der Wahlheimat Hamburg schätzt, den kauzigen Charakter zum Titelhelden erkoren. Aus gutem Grund, denn Ellings ambivalente Züge machen ihn zu einer Art liebenswerter Nervensäge: selbstironisch und snobistisch, klug und querulatorisch, gutmütig und verschlagen zugleich.
Handelten die vorigen Abenteuer von seiner erotischen Passion für die norwegische Ministerpräsidentin oder Klapsmühlen-Erlebnissen, entdeckt Elling nun die Liebe: „Ich brauchte eine Frau!“ Heimlich, aber heftig verliebt sich der notorische Einzelgänger in die Würstchenverkäuferin Lone; bevor es aber zur ersten Kontaktaufnahme kommt, muss Elling noch das angeknackste Familienglück seines Freundes Kjell Bjarne kitten.
Für geraume Zeit plätschert der Plot eher unentschlossen dahin, einzig die regen Reflexionen des Erzählers halten den Leser bei der Stange. Denn in der Welt, wie Elling sie sieht, ist nichts zu nichtig, um nicht Gegenstand einer spontanen Abhandlung zu werden. Weil der Hobby-Chaostheoretiker weiß, dass „Bagatellen im Grunde alles andere als bagatellmäßig“ sind, übt er sich etwa als Exkrementen-Existenzialist: „Es war mir unvorstellbar, dass Madonna oder zum Beispiel Cher jeden Tag gekrümmt in ihrem eigenen Gestank hockten. Das war ganz einfach wider die Natur (...) Und dennoch: So brutal ist das Menschenleben.“
Schwung in die Geschichte kommt erst mit dem Treffen der Turteltauben. Nachdem Elling die Auserkorene mit ausgefuchsten Ufo-Fabeln geködert hat, schlägt sie ein Rendezvous im Café Felix vor: „Das war der Satz, von dem ich mein Leben lang geträumt hatte. Nicht: Fick mich hart, Elling (...) Sondern: Wie wärs mit einem Kaffee im Felix?“ Sicherheitshalber inspiziert er vorher die Damentoiletten und betört Lone schließlich mit ausführlichen Berichten von seinen außerirdischen Erlebnissen.
Zwar variiert die Witzigkeit der Ellingschen Suaden, und am Ende wirkt manches ungereimt, etwa wenn der sympathische Sozialfall plötzlich zum heimtückischen Höschen-Schnüffler mutiert und angedeutet wird, Elling könne eine Serienkiller-Karriere starten. Doch oft genug gelingt Ambjörnsen ein erzählerischer Spagat, der das Lesen lohnenswert macht: zwischen humoristischen Highlights und poetischen Passagen, Ironie und Melancholie – das Ganze gespickt mit ausgesuchten Aphorismen übers Allerwerteste. Denn merke: „Am Ende bleibt nur noch die Darmtätigkeit.“ Christian Schuldt
Ingvar Ambjörnsen: „Lieb mich morgen“. Roman. Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs. Fretz & Wasmuth, 287 Seiten, Bern 2000, 36,90 Mark
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