piwik no script img

Altersangaben in KontaktanzeigenAlt sind immer nur die anderen

Ab 50 Jahren bezeichnen sich Menschen auf Partnersuche gerne mal als „jung geblieben“ oder „jünger aussehend“. Aber was heißt das eigentlich?

Yoda (hier als Wachsfigur) sieht auch deutlich jünger aus als 900 Jahre Foto: Jens Kalaene / dpa

J essi“, werde ich in wenigen Wochen zu meiner Friseurin sagen, während sich unsere Blicke auf der Spiegelwand treffen, „findest du, dass ich jünger aussehend bin?“ „Aber sicher, meine Liebe“, wird sie sagen, mir die Schulter tätscheln und mich zum Waschbecken bitten. Dafür mag ich meine Friseurin. Wenn ihr eine Kundin eine bescheuerte Frage stellt oder harmlosen Quatsch redet, lässt sie sie das nicht wissen, sondern setzt ihr Profi-Lächeln auf und geht in Gedanken in der Ägäis surfen. Aber ich werde dann wieder nicht wissen, ob ich nun aussehe wie „um die 50“ oder deutlich jünger. Oder älter.

Dass ich überhaupt darüber nachdenke, liegt daran, dass ich so gerne Kontaktanzeigen lese. Darin nennen sich viele In­se­ren­t:in­nen „jung geblieben“ oder „jugendlich“, und ich vermute, dass sie damit neugierig, offen und unternehmungslustig meinen und nicht egoistisch, rücksichtslos und verpeilt.

Manche halten nicht nur ihr Herz für höchstens 35, sondern auch ihr Bindegewebe. Als „äußerlich jünger wirkend“ beschreiben sich im aktuellen Bremer Stadtmagazin Mix gleich zwei Frauen. Eine ist 61, eine 74, und ich frage mich, ob sie sich mit real existierenden Frauen vergleichen – oder solchen aus ihrer Fantasie, die sich an Bildern bedient, die sie sich von der Generation ihrer Mütter und Großmütter gemacht haben. Die ihnen bereits uralt erschienen, als sie 20 Jahre jünger waren als sie selbst jetzt.

„How terribly strange to be seventy“, heißt es in „Old friends“, einem sehr schönen Song über das Altsein von Simon and Garfunkel. Der heute 82-jährige Paul Simon hat ihn geschrieben, da war er noch keine 30. Die wörtliche Übersetzung lautet „wie seltsam es ist, 70 zu sein“ und die freie: Alt sind immer nur die anderen. Nach meiner Beobachtung halten sich selten Unter-50-Jährige für jünger aussehend.

Große Augen

Wie gut jemand mit der Kränkung, die das eigene Altern bedeutet, zurecht kommt, steht häufig auch in den Anzeigen. Im Zeit-Magazin erschien neulich eine in der Rubrik „Er sucht sie“, die mich sehr beeindruckt hat. Der erste Satz lautete: „Ich bin 57, aber alle gucken mich immer mit großen Augen an, wenn ich das sage und meinen, ich wirke 10 Jahre jünger.“

Nicht schlecht, dachte ich, da weiß man, was man bekommt: Einen Mann, der erstens ständig über sein Alter redet, und dem zweitens das Geld locker sitzt. Wer würde sonst 27,60 Euro für einen Satz ausgeben, aus dem sich ablesen lässt, dass er sich nicht gut in sein Gegenüber hineinversetzen kann? Andernfalls hätte er an die Möglichkeit gedacht, dass ein potenzielles Date vor Enttäuschung große Augen machen könnte.

Dasselbe Risiko gehen alle ein, die ein falsches Alter angeben. Beim Online-Daten scheint das allerdings so selbstverständlich zu sein, dass geübte Tinder-Nutzer:innen vier Jahre drauf schlagen. Und wenn man heutzutage Name und Geschlechtsbezeichnung wechseln kann, warum nicht auch das Alter. Ab jetzt bin ich 45. Dann muss ich nicht jünger aussehen. Ich bin es einfach.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Eiken Bruhn
Redakteurin
Seit 2003 bei der taz als Redakteurin. Themenschwerpunkte: Soziales, Gender, Gesundheit. M.A. Kulturwissenschaft (Univ. Bremen), MSc Women's Studies (Univ. of Bristol); Alumna Heinrich-Böll-Stiftung; Ausbildung an der Evangelischen Journalistenschule in Berlin; Lehrbeauftragte an der Univ. Bremen; in Weiterbildung zur systemischen Beraterin.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Wo das Leben hart, gefährlich und entsprechend kurz ist, ist es noch heute kein Makel, alt zu sein (und auch so auszusehen). Es bedeutet nämlich, dass man vieles richtig gemacht hat oder wenigstens eine Menge Glück gehabt. Man ist also nicht wertlos, sondern interessant, Sex hin oder her.

    Heute ist alt werden keine Kunst mehr. Entsprechend gering wird der Wert alter(nder) Menschen angesetzt. Wer brauch schon Erfahrungen, wenn er mit Geld alles kaufen kann, auch Schönheit, Gesundheit, Informationen und Leute, die die Kinder beaufsichtigen? Wer anderen nichts zu vererben hat, muss damit rechnen, vom „Schirm“ zu verschwinden. Vor allem, wenn da keine Lebens-Gefährten sind, sondern nur diverse One-Night-- bzw. -Day-Stands auf der Suche nach dem jeweils maximal möglichen Profit für sich selbst.

    Die Frage ist, ob man sich tatsächlich durch die Augen dummer, egoistischer und oberflächlicher Menschen betrachten sollte, oder ob man sich nicht besser mit den Augen derer sieht, die einen mögen und für die man deswegen ein Wert-an-sich ist, egal was man sonst so besitzt an Erfahrungen, Geld oder Bereitschaft, für andere da zu sein. Spiegeln kann sich der Mensch schließlich nicht nur in bedampftem Glas, sondern auch in anderen Menschen.

    Was sich Leute davon versprechen, anderen gegenüber Jahre ihres Lebens zu unterschlagen, müsste man mir jedenfalls erst noch erklären. Männer, heißt es, würden interessant, wenn ihre Schläfen grau werden. In den meisten Fällen ist das ein Gerücht. Und in den wenigen Fällen, in denen es (womöglich) stimmt, haben ganz sicher auch interessante ältere Frauen etwas damit zu tun. Überhaupt stecken meist solche Leute hinter dem Phänomen, die sich für Menschen mehr interessieren als für Zahlen und denen es nicht nur egal ist, welche Farbe Haut hat, sondern auch wie viele Falten oder Flecken. Und das gilt, soweit ich nach fast 59 Jahren sehe, für Frauen kein bisschen weniger als für Männer.

    Wisst ihr was, Leute? Ich glaube, Tinder kann mich mal.

  • Gefällt mir. Und lt. Foto würde ich Frau Bruhn auf ca. 40 schätzen. :-)

    Als ich noch auf Dating-Profilen unterwegs war, hat es mich anfänglich gewundert, dass es da so viele Menschen gibt, die offensichtlich schwere Erkrankungen überstanden haben oder vielleicht Alkoholiker oder frühere Drogenabhängige sind. Das habe ich für diese Menschen bedauert, aber die Häufung hat mich doch auch irritiert.



    Bis ich dann irgendwann darauf kam, ich bin keine Schnellmerkerin, dass sie sich alle einfach 5 bis 15 Jahre jünger gemacht haben.

    " ... und dem zweitens das Geld locker sitzt."

    Nicht nur wegen des Eingangssatzes, sondern auch, je mehr "Runden man schmeißt", desto häufiger und nachdrücklicher bekommt man versichert, wie jung man doch aussieht; obwohl im Wein angeblich die Wahrheit liegt. ;-)

  • Alter als Makel oder gar eine Krankheit betrachten - auch so eine segensreiche Errungenschaft aus dem Wunderland USA.