: Alternative zum Kotzen gesucht
■ ai verstärkt Kritik an Zwangs-Vergabe von Brechmitteln / Dealer lieber auf den Pott setzen?
In Bremen wird nach einer stillen Erledigung des Themas „Zwangskotzen“ gefahndet, seitdem anmesty international in London sich für den Bremer Streit um die Zwangsvergabe von Brechmitteln interessiert und der Amtsrichterspruch bundesweit Schlagzeilen machte, der die hart formulierte Kritik an der polizeilichen Ermittlungspraxis zur „Volksverhetzung“ erklärte.
Nun hat „amnesty“ als Reaktion auf eine FAZ-Komumne von Innensenator Borttscheller seine Kritik daran, daß „Gefangenen ohne medizinische Notwendigkeit gewaltsam Brechmittel verabreicht werden“ erneuert: „Dann unserer Ansicht nach kommt diese Praxis einer grausamen, unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung gleich. Die Organisation wird auch weiterhin diesen Vorwurf gegenüber den Bremer Behörden erheben.“ Und amnesty geht weiter. Denn kürzlich sind Ermittlungen gegen Polizeibeamte eingestellt worden allein aufgrund der Aussage der Polizeibeamten – die „Opfer“ wurden nicht zu ihren Vorwürfen vernommen. „Falls Amnesty International zu dem Schluß kommt, daß die Untersuchungen nicht internationalem Standard entsprechend entsprechend geführt wurden, wird die Organisation dies sagen“, schreibt Anne Burley vom Internationalen ai-Sekretariat London. (FAZ 27.3.)
Äußerst gereizt und mit Nachrichtensperre reagiert die Innenbehörde auf die Kritik an dieser polizeilichen Praxis, die vom Bremer Antirassismus-Komitee unermüdlich vorgetragen wird. Die Kritik wird allerdings von der Gesundheitsbehörde im Grundsatz geteilt: „Die gewaltsame Verabreichung von Brechmitteln ist mit dem ärztlichen Ethos nicht vereinbar“, diese Auffassung vertritt die Senatorin auch heute. Folgen hatte das bisher allerdings nicht: „Wir haben keine Handhabe“, sagt der persönliche Referent der Senatorin, Olaf Joachim, „wir können nicht sagen: Ihr dürft das nicht.“
„Zwang darf nur das letzte Mittel sein“, sagt auch der Leiter des Instituts für Rechtsmedizin, Dr. Birkholz. Als Pathologe würde er persönlich die Zwangsmaßnahme nicht durchführen – zu groß sei das Risiko. Nur einer der vier Beweissicherungs-Mediziner, Dr. Ritter, der lange als Internist gearbeitet hat, „der kann das“.
Für die Mediziner ist dabei der polizeiliche Sinn des „Zwangsbrechens“ unerheblich, sie verabreichen das Brechmittel, weil es eine gesundheitliche Gefahr gibt: Wenn die verpackten Kokain-Kügelchen nicht nur bis in den Magen gelangen, sondern durch den Darm gepreßt werden, dann potenziert sich die Gefahr, daß eines aufplatzt. So sehr um das medizinische Wohl geht es dann aber wieder auch nicht, daß die Ärzte darauf bestehen, daß die die Polizei sich entfernt, damit der „Patient“ das Mittel freiwillig nimmt. Ob der medizinische Einsatz in einem Verhältnis zu möglichen strafrechtlichen Folgen steht, auch das hat sich qua Amt der Arzt nicht zu fragen. Darüber allein waltet der Staatsanwalt.
Wenn Schwarze dieser Behandlung unterzogen werden, die am Bahnhof herumstehen und nach allem Anschein zu den Drogenhandels-Gangs gehören, die aus dem Mund handeln, „da hätte ich auch Bedenken“, sagt der Leiter der Staatsanwaltschaft, Jan Frischmuth. Ein „konkreter Tatverdacht“ sollte schon vorliegen, wobei der reine Besitz geringer Mengen doch nur mit Geldstrafen geahndet wird. Erst wenn jemand mit größeren Mengen oder beim Handel erwischt wird, drohen erheblichere Strafen. Vom juristischen her hat Frischmuth „keine Bedenken“ gegen die Zwangsverabreichung von Brechmitteln, die medizinische Abwägung des Risikos hat nicht er zu verantworten.
Trotzdem scheint die alte Regelung über die Brechmittelvergabe per Zwang erst einmal gestoppt: „Wir sind uns noch nicht ganz schlüssig, wir haben noch keine feste Regelung“, sagte Frischmuth zur taz. Zur Begründung verweist er auf praktische Probleme: Nur einer der Ärzte des Beweissicherungsdienstes könne die Nasenschläuche fachgerecht legen, und der wohne außerhalb Bremens. Wenn die Polizei jemanden aufgreift, dem per Zwang der Magen geleert werden sollte, dann müsse das aber schnell gehen – und es sei oft so, daß der betreffende Arzt gerade dann nicht Dienst hat. Bei dem letzten Fall (vgl. taz 23.3.) war es gerade 21 Uhr abends. Aufgrund dieser „praktischen Frage“ überlegt die Staatsanwaltschaft mit der Polizei gerade eine andere Vorgehensweise. Die einfachste Lösung, in Hamburg praktiziert, wäre: In den Fällen, in denen es wirklich strafrechtlich von Bedeutung ist, werden Verdächtige mit Haftbefehl zwei, drei Tage auf ein stilles Örtchen gesetzt. Dem hält die Polizei entgegen, daß es nicht genügend kontrollierte Orte dafür gäbe, sagt Frischmuth. K.W.
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