Alternative Kultur in Köln: Die Mädels von der Baustelle
Mitten in Köln-Kalk haben vier junge Frauen einen Ort für alternative Kultur aus dem Boden gestampft. Ihr Motto: Einfach machen.
KÖLN taz | Schorsch Kamerun ist schuld an der Baustelle Kalk. Als der Hamburger Regisseur mit 50 Freiwilligen am Kölner Schauspielhaus „Der entkommene Aufstand“ inszenierte – zu den Themen Unzufriedenheit und Protest –, da folgten Meryem Erkus und Nicole Wegner seinem Aufruf und wirkten bei dem Projekt mit.
Gekannt haben sich die beiden jungen Frauen vorher nicht, teilten aber dieselbe Unzufriedenheit mit der Kölner Kulturlandschaft. Unzureichend waren ihrer Meinung nach die Plattformen für Bands und Künstler, die nirgendwo hineinpassen, weil sie zu sperrig sind, zu abgedreht, zu unbequem, zu klein oder zu laut.
Erkus und Wegner wollten das ändern. Und stellten fest: Sie waren schon Nachbarn, wohnten in derselben Straße in Kalk. Kurzerhand mieteten sie ein Erdgeschoss mit Hinterhofschuppen an, in das eigentlich ein Wettbüro einziehen sollte.
In Kalk.
Seit Jahren schon erzählt man sich in Köln, dass dieser sogenannte soziale Brennpunkt auf der rechten Rheinseite das nächste coole Viertel wird. In der Tat ziehen viele junge Kreative dorthin, angezogen von multikultureller Atmosphäre, niedrigen Mieten und den wenigen schönen Altbauten, die den Krieg überlebt haben. Hohe Arbeitslosigkeit und viel Kriminalität sorgen für den schlechten Ruf des Viertels, sauber ist es in Kalk nur bedingt. Und doch atmet der Stadtteil einen aufregenden Vibe: Hier leben die unterschiedlichsten Kulturen miteinander, Künstler und Studenten bereichern das Viertel kreativ.
Ein Raum, der gefehlt hat
Das Eingangstor in der Kalk-Mülheimer Straße 124 schließt nicht richtig. Über einen Hinterhof gelangt man zu einer alten Dachdeckerwerkstatt: der „Baustelle Kalk“ von Erkus, Wegner und ihren Mitstreiterinnen. Keine 60 Quadratmeter ist der Raum groß, die Wände sind unverputztes Gemäuer, der Boden zeigt Risse. Zur improvisierten Einrichtung gehört eine alte Badewanne, aus Paletten haben sie eine kleine Bühne gebaut. Hier werden Konzerte und Lesungen veranstaltet, Ausstellungen, Filme und Rauminstallationen gezeigt. Do it yourself im besten Sinne: chaotisch, unabhängig und aufregend. Mit Platz für 120 Leute.
An einem verregneten, kalten Januartag vor gut einem Jahr eröffnete die „Baustelle Kalk“ mit einem Kurzfilmfestival. Nicht alle Besucher fanden Platz auf den zusammengewürfelten Stühlen und Decken, irgendwann passte auch stehend niemand mehr rein. In einen Veranstaltungsraum, der bis dato gänzlich unbekannt gewesen ist. Er scheint den Kölnern gefehlt zu haben.
Als die Brooklyner Experimental-Noise-Band „Black Dice“ hier spielte, war die „Baustelle“ ausverkauft. Das feministische Missy Magazine veranstaltete eine Lesung zum Thema „Streberinnen und Nerds“, es gab einen Kleidertausch-Flohmarkt und einen Comic-Workshop. Der Raum war schon als Wald verkleidet, als Unterwasserwelt und weiß verhüllt.
Kommerziell organisiert ist die „Baustelle Kalk“ nicht. „Wir wollen Kultur leicht zugänglich machen“, sagt Meryem Erkus. Die Eintrittspreise sind so niedrig wie möglich.
„Schnickschnack-Beauftragte“
Organisiert wird die „Baustelle Kalk“ mittlerweile als eingetragener Verein. Meryem Erkus ist die erste Vorsitzende, ihre Stellvertreterin Nicole Wegner bucht die Bands. Meryem Erkus Schwester Fatma ist Schatzmeisterin und die „Schnickschnack-Beauftragte“ Janina Warnk gestaltet den Raum künstlerisch. Sie nennen sich „die Mädels von der Baustelle“, sind Mitte bis Ende zwanzig und machen das Ganze ehrenamtlich. Die Erkus-Schwestern und Janina Warnk studieren eigentlich, Nicole Wegner macht Filme.
„Machen“, dieses Wort benutzen die vier Frauen oft, wenn sie den Erfolg der „Baustelle Kalk“ erklären wollen. Sie meinen damit: Du musst deine gute Ideen nicht nur haben, sondern sie in die Tat umsetzen. „Den Arsch hochkriegen“.
Die Seiten für die nächsten Tage und Wochen in Meryem Erkus’ Kalender sind vollgeschrieben. Alles Termine für die „Baustelle“. Auch das Mailpostfach quillt über. „Wir bekommen viele Anfragen von Bands“, sagt Nicole Wegner, „doch als Ehrenamtliche können wir das gar nicht alles stemmen. Die abgesagten Bands fragen mich oft, ob ich sie weiter verweisen kann, aber leider gibt es in Köln immer noch sehr wenige kleine Konzertlocations.“
Den Arsch hochkriegen, vielleicht ist das doch nicht so einfach.
Kein guter Umgang mit Kultur
Dabei ist privates Engagement gerade in Köln immens wichtig. Denn die alte Stadt am Rhein ist nicht bekannt für ihren guten Umgang mit Kultur: Theaterintendantin Karin Beier, die das mittelmäßige Kölner Schauspielhaus so belebte, dass es zweimal in Folge zum Theater des Jahres gekürt wurde, wechselt nach unendlichen Grabenkämpfen mit sturen Stadtpolitikern nach Hamburg.
Das Open-Air-Künstlerareal Odonien stritt mit der Stadt ellenlang über dessen Rettung. Die Szeneclubs Sensor und Papierfabrik wurden abgerissen, und das Underground, die altehrwürdige Institution im alternativen Kölner Nachtleben, soll einer Shopping-Mall weichen. Und immer wieder rückt das Ordnungsamt aus, um Ruhe wiederherzustellen – auch zu den absurdesten Orten, ganz ohne Anwohner in der Nähe.
Dieses Problem hat die „Baustelle“ nicht, obwohl sie im Erdgeschoss eines Wohnhauses liegt. Das Publikum hat schnell verstanden: Früh zu kommen ist angesagt, denn um 22 Uhr sind die Konzerte vorbei, und danach ist auch auf dem Innenhof rumzustehen nicht mehr drin. Das Risiko, es sich mit den Nachbarn zu verscherzen, ist zu hoch.
Kulturaustausch nach Istanbul
Denn die vier Mädels haben noch viel vor. Unter dem Titel „Istanbul, Kalk!“ und finanziert vom Kultursekretariat des Landes NRW fliegen sie am 23. Februar für einen Kulturaustausch nach Istanbul: Mit Kölner Musikern und DJs gestalten sie einen Abend in einem Istanbuler Club. Im März kommen die Poptheoretiker des Magazins Testcard zur Lesung. In den Osterferien wird die „Baustelle“ mit Kursen, Workshops und Vorträgen von Noise-Rock aus den USA bis Quantenphysik zur Ferienschule.
So langsam entdecken auch andere Kölner Künstler die „Baustelle“ für sich. In Kollaboration mit der Galerie „Halle der vollständigen Wahrheit“ zeigt die „Baustelle“ im April Werke portugiesischer Künstler. „Als jemand, der selbst in Kalk wohnt, schätze ich jeden Funken Kultur, der hier gepflanzt wird, denn das verlangt Mut und Abenteuerlust“, sagt „Halle“-Galerist Malo Neumann. „Zählt man noch dazu, dass die Mädchen zur Realisierung ihrer Projekte fast bis zur Selbstaufgabe Herzblut investieren, muss man entweder blind sein oder Angst vor Brücken haben, um das zu ignorieren.“
Auch der Kölner Musiker Albrecht Schrader, der im Mai eine Veranstaltung in der „Baustelle“ organisiert, schätzt den neuen Kunstort: „Die Baustelle hat sich etwas von der Naivität und der Begeisterungsfreude kindlicher Spielnachmittage und Sandkastenwelten beibehalten. Das ist im städtischen Kulturbetrieb eine große Ausnahme.“
Das erste Jahr überlebt
Ein eisig kalter Tag Ende Januar 2013, in Kalk liegt Schnee. Die Mädels haben unzählige Luftballons aufgehängt, in der Baustelle ist es warm, was daran liegt, dass wieder viele Leute gekommen sind. Unter der vormals ausrangierten Discokugel pustet „Touchy Mob“ in eine Luftschlange und hängt sie sich um den Hals. Den Applaus widmet der Berliner Künstler der „Baustelle Kalk“. Es ist ihr erster Geburtstag. Es wird darauf angestoßen, wie viel geiler subkultureller Content ihnen hier im letzten Jahr geboten wurde. Genauso feiernswert ist aber, dass die „Baustelle“ es tatsächlich geschafft hat, das erste Jahr zu überleben.
„Wir haben bisher immer die Miete zahlen können“, sagt Meryem Erkus. Dann muss sie kurz nachdenken, doch ja, es ist wahr: Sie haben es jeden Monat irgendwie hinbekommen. Und wenn sie sich eins wünschen dürften, sagen die Mädels, dann ist das ein Auftritt von Schorsch Kamerun. Denn der hat das alles schließlich überhaupt erst ins Rollen gebracht.
Leser*innenkommentare
Fatma
Gast
Hier meldet sich mal die "Schatzmeisterin vom Dienst", und ich würde gerne Stellung beziehen, zu dem, was Peter geschrieben hat.
Eigentlich war die Bezeichnung "Mädels" nur ein kleiner Scherz: Als Anlehnung an "Die Mädels von der Tankstelle" haben wir einfach immer mit "Die Mädels von der Baustelle" unterschrieben. Klingt ja auch schön schmissig!
Daraus hat sich dann nach und nach die Kurzform "Die Mädels" eingebürgert.
(Das gibt es sowieso nur im Plural bei uns - es gibt ja auch nicht "das" Mädel vom Immenhof.)
Allerdings sehe ich den Begriff an sich überhaupt nicht sooo kritisch: Natürlich wurde er im Dritten Reich zu Propaganda-Zwecken okkupiert!
Ich verstehe ihn aber eher im Arthur Schnitzler-schen Sinne: Eine freigeistige, tatendurstige Frohnatur ohne Allüren, die damit kokettiert, dass sie zwar die gesellschaftlichen Konventionen kennt, diese aber eben nur nach Bedarf anwendet.
Außerdem: Wie sollen wir uns denn sonst nennen? (Ernst gemeinte Anregungen nehmen wir gerne entgegen.)
"Die Mädchen von der Baustelle"? - Klingt schwer nach Pädophilen-Porno.
"Die Damen von der Baustelle"? - Widerspruch per se.
"Die Frauen von der Baustelle"? - Come on! - Wir wohnen in WGs, kochen selten Abendessen, haben weder Mann noch Kind, und das Wort Rentenversicherung ist für uns nur das, was es ist - ein komisches Wort.
Auf jeden Fall nehmen wir uns und unsere Baustelligkeiten zwar ernst, gehen aber immer mit einem kleinen Augenzwinkern an die Sache ran und lassen öfter mal Fünfe grade sein.
Sonst klöppen sich nur alle, wenn sie sich eigentlich doch liebhaben könnten.
Und immer, immer nie den Humor verlieren!
Die Schatzmeisterin von den Mädels von der Baustelle.
tomas
Gast
Lieber Peter
Mädel, das Wort vom Oberd. ausgehend gemeinsprachliche Geltung erlangte und die längere Form >Mägdlein< zurückgedrängt hat, ist -wie auch Mädchen- Verkleinerungsform
zu Magd
Frauen verheiratet, Mädchen nicht...?
Wieleicht wollten die Mädels das damit zum ausdruck bringen.
Ich persönlich empfinde das Wort Mädels nicht als respeklos.
Dies sollte man(n) jeder weiblichen Mitbürgerin selbst überlassen.
entschuldigung nochmal PETER, aber du machst viel Wind um
nichts, bitte wechsele doch zur Brüderle-Sexismus Debatte...,
Fatma
Gast
Hallo Peter,
hier meldet sich mal die "Schatzmeisterin vom Dienst".
Puh, das Wort "Mädels" scheint es dir ja echt angetan zu haben. Tut mir leid, dass wir da anscheinend einen Nerv bei dir getroffen haben - es sollte wirklich niemanden vor den Kopf stoßen...
Eigentlich war diese Bezeichnung nur ein kleiner Scherz: Als Anlehnung an "Die Mädels von der Tankstelle" haben wir einfach immer mit "Die Mädels von der Baustelle" unterschrieben. Klingt ja auch schön schmissig!
Daraus hat sich nach und nach die Kurzform "Die Mädels" eingebürgert.
(Gibt es sowieso nur im Plural bei uns - es gibt ja auch nicht "das" Mädel vom Immenhof.)
Allerdings sehe ich den Begriff an sich überhaupt nicht sooo kritisch: Natürlich wurde er im Dritten Reich zu Propaganda-Zwecken okkupiert!
Ich verstehe ihn aber eher im Arthur Schnitzler-schen Sinne: Eine freigeistige, tatendurstige Frohnatur ohne Allüren, die damit kokettiert, dass sie zwar die gesellschaftlichen Konventionen kennt, diese aber eben nur bei Bedarf anwendet.
Außerdem: Wie sollten wir uns denn sonst nennen? (Ernst gemeinte Anregungen nehmen wir gerne entgegen.)
"Die Mädchen von der Baustelle": Klingt schwer nach Pädophilen-Porno
"Die Damen von der Baustelle": Widerspruch per se.
"Die Frauen von der Baustelle": Come on! - Wir wohnen in WGs, kochen selten Abendessen, haben weder Mann noch Kind, und das Wort Rentenversicherung ist für uns das, was es ist - ein komisches Wort.
Auf jeden Fall nehmen wir uns und unsere Baustelligkeiten zwar ernst, gehen aber auch immer mit einem kleinen Augenzwinkern an die Sache ran und lassen öfter mal Fünfe grade sein. Sonst klöppen sich nur alle, wenn sie sich eigentlich doch liebhaben könnten.
Und immer, immer nie den Humor verlieren!
Beste Grüße,
fatma,
die Schatzmeisterin von den Mädels von der Baustelle.
Peter
Gast
Wieso nennt frau sich "Mädels" ?
Vorab: Benjamin Weber kann (anscheinend) nix dafür.
Dieser erniedrigenden, sexistischen und verarschenden
Bezeichnung (jungen?) Frauen gegenüber kann ich leider nicht mal mehr im Kika aus dem Weg gehen (seit Jessi und Ben), in tendenziöseren Medien ist es schon länger eine absichtliche Respektlosigkeit mit entsprechender Zielvorstellung.
In der taz (auf meiner Insel, schon klar) wünsche ich mir aber einen aufgeklärteren Umgang mit solcherart absichtlich tendenziellen, abwertenden, "neu" eingeführten oder aus der patriarchalischen Mottenkiste entfesselten Begriffen.
Vier mal müsste er(!) also nicht auftauchen.
....wenn sich die Veranstalterinnen nicht selbst so abwertend bezeichnen würden.
Das Projekt "Baustelle Kalk" ist nämlich allemal einen respektvollen und bewundernden Umgang wert !
Ich werde mich also auch direkt an die Veranstalterinnen wenden und sie fragen, ob es evtl. einen entsprechenden Hintergrund dafür gibt.
Die taz ist mir ans Herz gewachsen, weil sie ohne hintertriebene Verarschungsbezeichnungen auskommt bzw. wenn doch, mit erläuternden/aufklärenden Worten dazu.
Ihr findet welche - wenns welche gibt !
Die Bübels