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Alternative FußballligaSieben Freunde sollt ihr sein

In der Kings League wird Fußball auf dem Kleinfeld gespielt. Die Liga schlägt von Ex-Barça-Star Gerard Piqué schlägt in Spanien sensationell ein.

Der Erfolg kam auf dem Kleinfeld: Nil Ayats Foto: Gerard Franco

Bevor die Kings League ihm eine zweite Chance gibt, hat Nil Ayats die erste vergeben. Immer träumte der 25-Jährige davon, Fußballprofi zu sein. In Spanien durchlief Ayats die Jugendteams von Espanyol Barcelona, spielte in der höchsten U19-Liga – als Teil jener Armada von gut Ausgebildeten, von denen die meisten wieder ausgesiebt werden. Manchmal, sagt Ayats, ist der Fußball unbarmherzig: Sein Wechsel in die USA, um Fußball und Studium zu verbinden, wird zur sportlichen Sackgasse. Er verletzt sich, schafft es nicht in den MLS-Draft.

Als er nach Spanien zurückkehrt, scheint der Zug abgefahren. „Du warst drei Jahre weg, keiner erinnert sich an dich. Du denkst: Ich bin 24 Jahre alt, es ist zu spät für mich im Profifußball.“ Ayats kickt aus Spaß bei seinem eigenen Verein weiter. „Und dann“, sagt er, „kommt die Kings League und gibt dir eine zweite Chance.“ Wie im Märchen.

Als Nil Ayats am Telefon seine Geschichte erzählt, ist er gerade vom Training bei Jijantes FC zurück. Der Klub ist eines der zwölf Teams der Kings League, jener neuen Kleinfeldliga, die erst Ende 2022 vom Ex-Barça-Star Gerard Piqué gegründet wurde. Eine 7er-Liga in Barcelona, in der ein paar Ex-Profis und Influencer, aber überwiegend gut ausgebildete Amateure wie Ayats spielen. Und die dank einer Mischung aus Sport, Entertainment und Gaming in Spanien zur Sensation wurde. Seit Anfang 2023 gibt es ein weibliches Pendant, die Queens League.

Laut Veranstalter Kosmos Holding sind bei der Kings League seit Januar im Schnitt 410.000 Endgeräte zugeschaltet, bei der Queens League immer noch 250.000. Damit liegt man gar vor der großen La Liga mit einer Durchschnittszahl von 301.000 – allerdings nur, wenn man den großen internationalen Markt von La Liga nicht mitrechnet. Doch während bei La Liga rund zwei Drittel der live Einschaltenden über 45 Jahre alt sind, buhlt die Kings League um die Jugend.

Spielerisch und spaßorientiert

„Heutzutage ist das Produkt Fußball veraltet“, glaubt Gerard Piqué. Niedrigschwelliger, spaßorientierter, mehr Show soll es sein: Gestreamt wird kostenfrei und hoch erfolgreich auf Twitch, die Liga funktioniert nach US-Prinzipien mit handverlesenen Klubs, Draft und Final Four, und nutzt jede Menge Gamification: Da verändern Würfel die Zahl der Feldspieler:innen, es gibt Doppeltorregelungen, Geheimwaffenkarten, zahlreiche Show-Acts und berühmte Ex-Profis und In­flu­en­ce­r:in­nen als Prä­si­den­t:innen, die die Partien streamen und praktischerweise große Fangemeinden mitbringen. Gespielt wird nur noch 2 mal 20 Minuten. Viele sehen das spöttisch bis skeptisch, dabei ist die Idee nicht ungewöhnlich: Auch andere Sportarten versuchen derzeit, mit kurzweiligen und krea­tiven Formaten die Streaming-Generation zurückzugewinnen. Was verändert das?

Als die Kings League angekündigt wird, schüttelt Nil Ayats wie so viele den Kopf. „Die Glaubwürdigkeit von Piqué in Spanien war nie hoch“, erzählt er. „Er war hier immer in Konflikte involviert, er hat Dinge auf Pressekonferenzen gesagt, die nicht wirklich ernst gemeint waren. Ihm hat das einfach Spaß gemacht. Und als er gesagt hat, dass er diese Liga gründet, meinten viele: Das funktioniert nie.“

Aber das erste Final Four im ausverkauften Camp Nou ändert seine Meinung. „Das war irre. Da dachte ich: Das wird was Großes, das ist cool.“ Er bewirbt sich, durchläuft viele Probetrainings. Nil Ayats schafft es als einer von 60 neuen Spielern in die Kings League, unter 4.000 Bewerbern. Seit September spielt er dort. Heute wird er auf der Straße erkannt, gibt Fotos und Autogramme. „Selbst einige Ex-Profis sagen, dass ihre Sichtbarkeit hier größer ist.“ Nil Ayats ist Fußballstar geworden – auf dem zweiten Bildungsweg.

Ein Samstagabend im Oktober: Die Queens und Kings League tragen ihre jüngsten Finals vor 30.000 in Málaga aus. Schon Stunden vorher drängen sich Fans im Shop um Trikots für 70 Euro; 1 Million Menschen verfolgt die Finals auf diversen Kanälen. Unter blauer Beleuchtung kommen in den Partien schnellfeuerartig neue Elemente ins Spiel, mal spielen plötzlich nur noch drei gegen drei, mal zählen die Tore doppelt.

Wichtig sind die Influencer

Das ist wahrhaft großes Kino, vor allem die wechselnde Spie­le­r:in­nen­zahl erweist sich als echte Bereicherung. Sichtbar ist allerdings auch, dass hier Ama­teu­r:in­nen spielen, die mitunter nur zweimal die Woche trainieren. Ohne Specials ist der Kleinfeldkick mitunter zäh. Wichtiger sind vielen wohl ohnehin die meist männlichen Influencer mit Co-Präsidentin, die das Publikum anheizen.

Da ist Móstoles-Präsident ­DjMaRiiO, spanischer Fifa-­Strea­ming-­Superstar und sichtlich geübt in Selbstdarstellung, der sich gern mit Ronaldo oder Neymar inszeniert, den Style der Profis imitiert und das Finale zu seiner Show macht. Sein Team hat der Präsident gleich nach dem eigenen Geburtsort Móstoles benannt und als Co-Präsidentin seine Freundin, Ins­ta­gram-Sternchen noe9977, installiert. Mehr Ego als beim Mäzen eines Dorfvereins.

Da ist aber auch die erst 20-jährige Gamerin Espe, Präsidentin bei den Pokalsiegerinnen Aniquiladoras und Tochter der spanischen Ex-Nationalspielerin Rocío Giráldez, die etwa regelmäßig Sexismus in der Gaming-Branche anprangert, über psychische Folgen aufklärt und bei Fans für ihr engagiertes Auftreten hohe Popularität genießt. Wer die progressiven und regressiven Poten­zia­le der Liga verorten will, kann sie irgendwo zwischen Espe und DjMaRiiO ausloten.

Nil Ayats gibt unumwunden zu, dass die Leute vor allem wegen der Prä­si­den­t:in­nen einschalten. „Die Präsidenten haben die Macht. Und manchmal schauen mehr Leute ihre Vor- und Nachprogramme als das tatsächliche Spiel.“ Fußball als Neben-Act. Wie oft trainiert wird, gibt der Klub vor, die Strategien der Liga entscheidet eine kleine Gruppe. „Manchmal sind wir Spieler bei dieser Liga wie das Bildschirmpublikum“, sagt Ayats. „Wir kriegen keine News, bevor sie öffentlich werden.“ Aber nein, insistiert er, all das störe ihn nicht. Er fühle sich als Spieler wertgeschätzt, von den Fans und den Präsident:innen.

Kein Ersatz für den klassischen Fußball

Zu viel Kritik dürfte auch bei der Kings League nicht auf Gegenliebe stoßen. Zwischen Verbandsfußball und Gaming-Fußball will Nil Ayatas nicht wählen müssen. „Ich mag beide Formate auf ihre Weise. Die Kings League wird den klassischen Fußball nicht ersetzen, und das wollen sie auch nicht. Sie wollen etwas anderes schaffen.“ Er hält das für logisch: Schließlich sei der Straßenfußball fast verschwunden, Menschen verbrächten immer mehr Zeit vor Youtube und Twitch. „Ich habe lieber die Kings League, als wenn Kinder ‚Call of Duty‘ spielen. Und wenn wir sie inspirieren, Fußball zu spielen, ist das eine gute Nachrichten.“

Ob das Publikum deswegen wirklich mehr kickt oder eher noch länger am Bildschirm sitzt, bleibt zu klären. Aber auf spanischen Bolzplätzen wird laut Piqué jetzt auch mit Regeln der Kings League gespielt. Der Verbandsfußball wirkt vom Erfolg des Formats etwas überrumpelt, La-Liga-Präsident Javier Te­bas verhöhnte es als Zirkus. Die Kings League ist auch eine Reaktion auf einen Managementfehler. Der etablierte Fußball schaut quasireligiös auf Expansion und Wachstum, hat das Produkt selbst aber kaum weiterentwickelt. Er hat vielleicht seine Kinder vergessen. Bei Piqué gibt es zudem keine enteilten Großklubs, fast alle Budgets laufen über die Liga. Am Anfang gab es sogar protosozialistisch für alle dasselbe Gehalt; nun wird nach Draft-Pick abgestuft. Und es sagt viel, dass Ex-Profis offenbar auch bei der Ligastruktur großen Handlungsbedarf ­sehen.

Frei nach Marketinglehrbuch expandiert der neue Wettbewerb aggressiv: 2024 startet eine Liga Américas mit In­fluen­cer-­Stars von Argentinien bis USA, außerdem soll es eine WM geben – beides vorerst nur für Männer. Die Queens League wirkt eher wie eine pflichtschuldige Ergänzung. Die Männer-Kategorie „Legenden“ für Gaststars gibt es auf der Website der Queens League nicht; vielleicht finden die Macher, der Frauenfußball habe keine.

Auf taz-Anfrage bestätigt die Kosmos Holding eine neue brasilianische Liga mit Ronaldinho und Neymar als Teampräsidenten sowie Gespräche mit Großbritannien, Italien, Frankreich und auch Deutschland. Dort allerdings sind ihr zwei weitere Ex-Profis zuvorgekommen: Mats Hummels und Lukas Podolski haben für Januar 2024 ein verdächtig ähnliches Format namens Baller League angekündigt, ebenfalls spaßorientierten 7er-Fußball mit Streaming-Größen. Gerard Piqué zürnte über Ideenklau. Offenbar hat die Kings League einen Nerv getroffen.

Druck durch die neuen Formate

Die neue Experimentierfreude könnte Auswirkungen auf den klassischen Spielbetrieb haben, glaubt Jijantes-Spieler Ayats. „Wahrscheinlich werden wir in näherer Zukunft strukturelle Änderungen und Regeländerungen bei La Liga sehen. Dass auch sie auf mehr Plattformen streamen, oder dass sie Spielertransfers anders regulieren.“ Auch, wenn wohl so schnell niemand dort auf dem Rasen würfeln wird – die neuen Formate setzen den Fußball durchaus unter Handlungsdruck.

Wie lange sie selbst leben, ist dabei noch nicht ausgemacht: Die Kings League profitiert derzeit vor allem von der Reichweite der Promis sowie von großzügiger Anschubfinanzierung. Das letzte Final Four im Oktober in Málaga fand nur noch vor 30.000 statt 92.000 statt. Die durchschnittliche Zahl der Live-Zuschauer:innen pro Spieltag ist auch rückläufig und lag im Frühjahr 2023 noch bei 511.378.

Nil Ayats glaubt, dass nach steilem Start nun ein stabiles Level erreicht sei. Wie das bei Neugründungen so sei. Er selbst setzt aber längst nicht nur auf die Kings League, von deren vierstelligen Jahresgehältern sowieso niemand leben könne.

Der 25-Jährige ist mit seinem Vater, einem ehemaligen Profitrainer, Besitzer des kleinen Klubs Naise Barcelona, wo er arbeitet. In der Kings League will er einfach so lange Spaß haben wie möglich – und sich etwas aufbauen. Denn eine Karriere dort kann kurz sein. Schon im nächsten Sommer steht vermutlich ein neuer Draft an. „Ich könnte meinen Platz verlieren. Aber das ist mir nicht wirklich wichtig. Ich will die Reise genießen.“

Und Kapital daraus schlagen. Viele Spieler:innen, so Ayats, versuchten, sich dank der Liga selbst ein Business aufzubauen. Auch Nil Ayats hat einen Produktlaunch geplant, pünktlich zum Weihnachtsgeschäft soll es so weit sein. Schließlich geht es bei der zweiten Chance nicht nur um einen zeitgemäßen Fußball und den großen Traum – sondern auch um ein gutes Geschäft.

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