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■ Altenheim-ProzeßRentnerin mit einem Bein im Knast

Trotz dünner Beweislage sah die 23. Strafkammer des Landgerichts unter Vorsitz von Achim Sachs es gestern als erwiesen an, daß die 73jährige Johanna F. eine 87jährige Altenheimbewohnerin in dem gemeinsamen Zimmer zu Boden gestoßen und damit den Bruch eines Oberschenkelknochens verursacht hatte. Vier Wochen später war die Greisin Elfriede Sch. an den Folgen einer mit dem Sturz in Verbindung gebrachten Lungenembolie gestorben. Johanna F. hat keine Erinnerungen an den Vorfall, der sich im März vergangenen Jahres ereignet haben soll.

Unmittelbare Tatzeugen gibt es nicht. Das Opfer, die an Alzheimer leidende Elfriede Sch., hatte von der Kripo nicht befragt werden können. Das Gericht stützte sich einzig auf die Aussage einer pflegerischen Hilfskraft. Diese wollte aus dem Zimmer der beiden Damen laute Worte und einen Knall gehört haben. Als sie den Raum betreten habe, so die Zeugin, habe Elfriede Sch. am Boden gelegen und mit dem Satz auf die gerade ins Bett kletternde Johanna F. gedeutet: „Sie hat mich geschubst.“

Auf Nachfrage der Verteidigerin war herausgekommen, daß die altersdemente Elfriede Sch. „nie gesprochen“ hatte. Die Erklärung der Pflegerin, der Schreck habe Elfriede Sch. zum Reden bewogen, reichte den Richtern aus. Zweifel kamen auch dann nicht auf, als eine andere Pflegerin und eine Stationsschwester bekundeten, sie hätten Elfriede Sch. niemals sprechen gehört. Das Gericht war der Auffassung, die an chronischem Alkoholismus leidende Johanna F. sei „gefährlich“ für die anderen gebrechlichen Heimbewohner. Es ordnete die Unterbringung in der geschlossenen Gerichtspsychiatrie an, setzte diese aber auf fünf Jahre zur Bewährung aus. Einstweilen wird Johanna F. in dem Altenheim auf einer speziellen Alkoholikerstation untergebracht. Die Verteidigerin war über das Urteil fassungslos. Wiederholt sei Johanna F. wegen Diebstahls von Spirituosen verurteilt worden. „Wenn sie noch eine einzige Flasche klaut, wird sie eingesperrt“, kritisierte sie und kündigte Revision an. plu

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