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Alte Technik – neuer Einsatz

Nach 2.200 Jahren kommt die Schnecke bei der Wasserkraft an: Im badischen Bräunlingen ging ein Kraftwerk ans Netz, dessen Turbinentyp von Archimedes stammt. Leistung: rund 70 Kilowatt

Der alte Archimedes hätte seine Freude gehabt. Mehr als 2.200 Jahre nach seinem Tod steht der vielseitige und geniale griechische Mathematiker unversehens in einer Reihe mit den großen Turbinenerfindern Francis, Kaplan und Pelton.

Dabei hatte Archimedes an den Bau einer Turbine nie so sehr gedacht wie an das Gegenteil: Zur Bewässerung von Feldern hatte er eine Wasserförderschnecke entwickelt, mit der sich das wertvolle Nass unter Einsatz mechanischer Energie auf höher gelegene Landflächen emporpumpen lässt. Bis in die jüngste Vergangenheit wurden diese Schnecken nur zum Pumpen genutzt – dann kamen Ingenieure auf die Idee, dass der Prozess nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch umkehrbar ist. Und so machten sie sich daran, die alte Pumpenschnecke als Turbine einzusetzen.

Das derzeit größte Projekt dieser Art in Europa ist in diesem Frühjahr im badischen Bräunlingen ans Netz gegangen: Mit 3,10 Metern im Durchmesser und 7 Metern Länge verarbeitet die Schnecke an einem historischen Gewerbekanal am Donauquellfluss Breg bis zu vier Kubikmeter Wasser pro Sekunde. Bei einer Fallhöhe von etwa 2,50 Metern kommt die Anlage auf eine Leistung von 65 bis 70 Kilowatt.

Im Vergleich zu den üblichen Turbinenformen hat die Schnecke einige Vorteile. „Wir brauchen nur einen sehr groben Rechen mit 20 Zentimeter Stababstand“, sagt Projektleiter Uwe Makowitz von der Firma Kraft-Wärme-Technik (KWT) in Pforzheim. Während die Kosten der Schnecke im Vergleich zur klassischen Turbine zwar in gleicher Größenordnung lägen, seien hingegen die gesamten Tiefbauarbeiten deutlich billiger zu haben. Zudem erreiche die Schnecke unter Teillast einen besseren Wirkungsgrad als Francis- und Kaplanturbinen. Nur von einem oberschlächtigen Wasserrad werde die Ausbeute bei geringem Wasserangebot noch übertroffen.

Hersteller der Turbine ist die 1969 gegründete Firma Ritz-Atro in Nürnberg, die nach eigenen Angaben Deutschlands größter Produzent von Schneckentrogpumpen ist. „Bei Schluckvermögen von 0,1 bis 8 Kubikmeter pro Sekunde und Fallhöhen zwischen einem und fünf Meter ermöglicht die Schnecke die Nutzung von Wasserkräften, wo Turbinen aus Kostengründen ausscheiden“, sagt Jens Kühnlein, Leiter der Sparte Wasserkraft bei Ritz-Atro. Mit Wasserkraftschnecken könnten „selbst minimale Wasserkraftpotenziale ab einem Kilowatt wirtschaftlich nutzbar gemacht werden“. Ein weiterer Vorteil: Sie seien „robust, verschleißfrei, wartungsarm“.

Jetzt geht es nur noch um die Optimierung der Ausbeute. „Wir experimentieren noch und feilen an Details“, sagt Betreiber Makowitz. So habe man in Bräunlingen, um die Turbulenzen im Auslauf und damit die Energieverluste zu reduzieren, die Drehzahl der Schnecke bereits gesenkt. Jetzt rotiert sie gemütlich mit durchschnittlich 14 Umdrehungen pro Minute – bei variabler Drehzahl, je nach Wasserangebot. Einen Wirkungsgrad der Schnecke von 86 Prozent erreiche man bereits heute, sagt der Techniker; 90 Prozent habe man sich zum Ziel gesetzt.

Die Bräunlinger Anlage ist die größte von fünf „Schnecken-Kraftwerken“, die derzeit in Deutschland in Betrieb sind; lediglich eine weitere in Europa steht in Südtirol. Die Geometrie der dreigängigen Schnecke, so die Herstellerfirma, habe man eins zu eins von den Förderschnecken übernehmen können. Lediglich im Tiefbau der Kraftwerke, etwa im Zulauf, gebe es Unterschiede zu einer Pumpenanlage. Seit anderthalb Jahren stellt das Nürnberger Unternehmen die patentierten Systeme her.

Bis zu einem Durchmesser von 3,60 Meter könne Ritz-Atro die Schnecken fertigen, sagt Kühnlein. Die Leistung betrage in diesem Fall bis zu 200 Kilowatt. Darüber hinausgehende Leistungen seien kaum sinnvoll, weil sich in diesen Dimensionen die klassischen Turbinen besser eignen. Ganz abgesehen davon, dass die Schnecken irgendwann nicht mehr handlebar sind – immerhin wiegt das Bräunlinger Exemplar bereits 14 Tonnen.

Das Metier ist für alle Beteiligten noch ziemlich neu. Gerade mal drei Jahre ist es her, als in Prag an der Technischen Universität der Ingenieur Karel Brada das weltweit erste Kraftwerk nach diesem Prinzip in Betrieb nahm. Die Firma Ritz, die ihren Hauptsitz in Schwäbisch-Gmünd hat, wurde auf das Projekt aufmerksam und führte die Entwicklung weiter – und bewahrte die Technik damit vor dem Aus. Denn bald erlahmte in Prag das Interesse; die Anlage wurde abgebaut.

Die Resonanz in der Wasserkraftbranche auf die neue Turbine, sagt Kühnlein, sei „inzwischen sehr groß“. Im vergangenen Jahr habe die Firma 100 Angebote geschrieben, weshalb man nun davon ausgehe, dass mit Fortschreiten der oft langwierigen Baugenehmigungsverfahren in den kommenden Jahren einige Aufträge zu erwarten sind. „Unser Ziel ist es, künftig im Monat eine Turbine zu bauen“, heißt es bei Ritz-Atro bescheiden. Denn man weiß trotz aller Vorteile des Produktes, dass die Schnecke wohl eine Turbine für Nischenanwendungen bleiben wird.

Und während die Entwicklung weitergeht, wird Kühnlein eine Frage womöglich nie beantworten können: warum man erst so spät auf die Idee mit der Schnecke kam. „Ich weiß es nicht, es weiß eigentlich niemand so recht“, sagt der Techniker. Das Thema habe offensichtlich – selbst als vor über 100 Jahren die anderen Turbinenformen aufkamen – bislang niemanden interessiert. BERNWARD JANZING

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