piwik no script img

Alte Methoden, neue Listen

Ungarns Regierungschef Orbán reagiert beleidigt auf kritische Töne in ausländischen Medien. Oppositionspolitiker und Intellektuelle, die der Weltpresse Rede und Antwort stehen, werden jetzt systematisch als „Nestbeschmutzer“ erfasst

aus Budapest GREGOR MAYER

Der seit 1998 amtierende ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán bezeichnet sich und seine Rechtskoalition in praktisch jedem Atemzug, den er tut, als „bürgerliche“. Sein Verhältnis zu den Medien ist aber bestenfalls ein vordemokratisches. Kritik an sich, an seinem neokonservativen Bund Junger Demokraten (FIDESZ) und an seiner „bürgerlichen“ Koalition, die die atavistische, populistische Kleinlandwirtepartei (FKGP) und das moderate, aber gewichtlose Demokratische Forum (MDF) einschließt, nimmt er äußerst übel.

Ungarische Zeitungen, die den FIDESZ in einen Zusammenhang mit bekannten Steuerhinterziehungs- und Kreditbetrugsfällen bringen, werden mit Presseklagen überhäuft. Die einzige Tageszeitung in Ungarn, die bis Orbáns Amtsantritt die Bezeichnung „bürgerlich“ verdient hätte, ließ er durch ein FIDESZ-nahes Unternehmen aufkaufen und mit einem Kampfblatt der Rechten fusionieren.

Regelmäßige Kritik

Besonders iritiert den 38-jährigen Premier neuerdings, dass sein Image auch in der Auslandspresse mies ist. Die von den Jungdemokraten vollzogene antiliberale Wende und ihr Kokettieren mit der rechtsextremistischen Lebens- und Wahrheitspartei (MIÉP) des antisemitischen Schriftstellers István Csurka ist ausländischen Journalisten, die sich intensiver mit dem Land beschäftigen, nicht entgangen. Offenbar schmerzt es Orbán, dass auch – in einem gewissen Sinne bürgerliche – Druckerzeugnisse wie Le Monde, Die Zeit oder das holländische NRC Handelsblad regelmäßig in den Chor der Ungarn-Kritiker einstimmen.

Da nun selbst ein Herr Orbán Blätter von diesem Kaliber nicht frontal attackieren kann, verlegt er sich auf eine andere Vorgehensweise. Schuld seien jene „Nestbeschmutzer“, jene ungarischen oppositionellen Politiker und Intellektuellen, die mit ihren Äußerungen gegenüber ausländischen Medien Ungarn in den Dreck zögen: Sogar den jüngsten Fortschrittsbericht der Europäischen Union (EU) hätten diese Finsterlinge zu Ungunsten Ungarns zu beeinflussen versucht. (In Wirklichkeit fiel der Bericht ähnlich aus wie im vergangenen Jahr, in manchen Formulierungen minimale Fortschritte suggerierend.) Er habe „Beweise“ dafür, dass Oppositionspolitiker und Intellektuelle das Land durch ihre Äußerungen in Auslandsmedien systematisch anschwärzen würden, erklärte Orbán letzte Woche vor dem Parlament und fuchtelte dabei mit Papieren herum, deren Inhalt noch in derselben Nacht den Weg auf die Homepage der oppositionellen Tageszeitung Napszabadság fand (www.nepszabadsag.hu).

Unter dem offiziellen Titel „Zusammenstellung von in diesem Jahr erschienenen, Ungarn und seine Regierung verunglimpfenden ausländischen Presseberichten“ werden Artikel aus der gesamten Weltpresse aufgelistet. Sie beschäftigten sich mit antisemitischen Tendenzen in Ungarn, mit Csurkas Verbandelung mit der Orbán-Regierung, mit der Usurpierung der öffentlich-rechtlichen Medien durch die Rechte. Mit darunter: das ironisch-wissende Stück „König Viktor“, das Christian Schmidt-Häuer im September in der Zeit veröffentlichte.

Informanten aufgelistet

Dick hervorgehoben sind die Namen jener ungarischen Politiker und Intellektuellen, die in diesen Berichten als Interview- oder Gesprächspartner fungierten.

In Ungarn wurde Orbáns „Liste“ mit einer Mischung aus Erstaunen und Erheiterung aufgenommen. Das wohl beabsichtigte einschüchternde Moment wird durch das Bewusstein geschmälert, dass das Orbán-Kabinett die nächsten Wahlen 2002 schwerlich wird überleben können. Der liberale Autor und Politiker Miklós Haraszti, wegen eines spritzigen Interviews im österreichischen Nachrichtenmagazin profil selbst „aufgelistet“, erkannte allerdings in der Dingfestmachung der „Nestbeschmutzer“ die Tendenz einer „kulturellen System-Restauration“. „Erneut forscht die Regierung ihren Kritikern nach und identifiziert sie als Kritiker des Landes“, meinte der ehemalige Dissident unter Anspielung auf die Praxis des Umgangs mit Andersdenkenden, wie sie unter dem kommunistischen Regime üblich war.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen