Alte Meister: "So wollen wir zur Verteilung der Beute schreiten"

Finanziert von der Sparkasse gingen der Bremer Bürgermeister Böhmcker und Kunsthallen-Direktor Emil Waldmann 1940 in Amsterdam einkaufen. Ein Interview über "Raub durch Kauf", das Opfer-Image der Kunsthalle und Julius Langbehns lange Schatten

"Reg. Bürgermeister S.A.-Gruppenführer Böhmcker spricht im festlich ausgestatteten Treppenhaus der Kunsthalle" (Pressefoto vom 26. Mai 1938). Bild: Archiv

taz: Herr Artinger, in der Städtischen Galerie haben Sie kürzlich einen Vortrag über eine spezielle Episode der Bremer Kunst- und Kulturpolitik von 1940 gehalten, in die die Kunsthalle involviert war. Wie sehen Sie die Geschichte des Museums im "Dritten Reich"?

Kai Artinger: Seit den 90er Jahren erscheint die Kunsthalle in den Medien und der Literatur vor allem als bedeutendes Opfer sowjetischer Beutekunst-Politik. Insbesondere das Schicksal der ausgelagerten Bremer Kunstschätze wie der "Baldin-Sammlung" ist immer wieder Gegenstand der Berichterstattung. Die einseitige Konzentration auf diese Aspekte der Geschichte hat dazu geführt, die Anpassung der Institution, ihre Eingebundenheit in die nationalsozialistische Kunst- und Kulturpolitik, vollkommen auszublenden.

Immerhin soll sich Kunsthallen-Direktor Waldmann erfolgreich gegen die Gleichschaltung gewehrt haben.

Es wurde der Versuch unternommen, Waldmann seines Postens zu entheben, aber letztlich gehörte er zu jenen deutsch-national gesinnten Museumsdirektoren, die trotz "Machtergreifung" im Amt blieben. Waldmann wurde förderndes Mitglied der SS und passte sich den neuen Verhältnissen so erfolgreich an, dass ihm wegen seiner "treuen Dienste" vom NS-Senat das silberne Treudienst-Ehrenzeichen verliehen wurde und anlässlich seines 60. Geburtstages die höchste Auszeichnung der Hansestadt, die von den Bremer Nationalsozialisten geschaffene "Plakette für Kunst und Wissenschaft".

Die erhielt übrigens vor ihm der Bremer Dichter Rudolf Alexander Schröder, der kommissarische Direktor der Kunsthalle nach dem Krieg. Die nach Schröder benannte Stiftung verleiht heute den Bremer Literaturpreis. Die Preisverleihung an Waldmann fand kurz vor der Reise nach Amsterdam statt, die er im November 1940 gemeinsam mit dem Regierenden Bürgermeister SA-Gruppenführer Heinrich Böhmcker machte.

Was war der Zweck dieser Unternehmung?

Der Erwerb von niederländischer Kunst des 17. Jahrhunderts. Böhmcker folgte damit unter anderem dem Beispiel Görings, der sich schon wenige Wochen nach dem Überfall auf die Niederlande im Mai 1940 in die berühmte Kunsthandlung Goudstikker an der Herengracht begeben hatte. Den Nationalsozialisten galten die niederländischen Meister als "gesund, völkisch und bodenverbunden". Hier wirkten völkische Kulturanschauungen nach wie Julius Langbehns Bestseller "Rembrandt als Erzieher", der die nationalsozialistischen Kunstauffassungen beeinflusste.

Böhmcker, ein Jurist mit bäuerlichem Hintergrund, dokumentierte mit dem Erwerb Alter Meister auch seinen Aufstieg in die traditionellen Eliten. Ihm hing der Ruf eines Schlägers an. Wegen seiner Brutalität bei den Saal-Schlachten der frühen 30er hatte er den Spitznamen "Latten-Böhmcker". Er ist auch der maßgeblich Verantwortliche für das November-Pogrom von 1938, bei dem fünf jüdische Bremer ermordet wurden. Sein Vetter, Dr. Hans Böhmcker, war der Beauftragte der (besetzten) Stadt Amsterdam und in dieser Funktion als "Juden-Kommissar" für die Organisation der ersten Schritte der Vernichtung zuständig. Es ist sicher kein Zufall, dass Dr. Böhmcker schon in der Stadt weilte, als Heinrich Böhmcker und Direktor Waldmann den Kunsteinkauf tätigten.

Was ist über die Hintergründe der Amsterdam-Reise noch bekannt?

Es gibt eine kurze, fast anekdotisch anmutende Darstellung des langjährigen Vorsitzers des Kunstvereins, Senator a.D. Hermann Apelt. In seinen "Erinnerungen aus 57 Jahren Kunstverein", 1958 publiziert, heißt es: "Zwischen Waldmann und dem Regierenden Bürgermeister entwickelte sich ein freundliches Verhältnis [...] Böhmcker nahm Waldmann mit nach Holland, wo sie gemeinsam Bilder, er außerdem Damenunterwäsche kaufen wollte".

Damenunterwäsche?

Böhmcker war 1940 noch Junggeselle und galt als Frauenheld. Außerdem war Damenbekleidung 1940 in Deutschland bereits rationiert.

Und die künstlerische Ausbeute, wie war die?

Böhmcker und Waldmann konnten nach ihrer Rückkehr bei einem Empfang für Führungskräfte im Rathaus 13 Gemälde präsentieren. Waldmann erläuterte deren kunsthistorische Bedeutung, von Böhmcker ist als Schlusswort überliefert: "So wollen wir gleich zur Verteilung der Beute schreiten". Die Kunsthalle bekam vier Gemälde geschenkt, zwei von Abraham Bloemart und jeweils eines von Philip Wouwermann und Ferdinand Bol. Waldmann bedankte sich mit den Worten: "In der Kunsthalle haben wir noch eine leere Wand". Wenn man da die neuen Bilder aufhinge, "dann hätten wir etwas, worüber sich selbst die Hamburger wundern würden".

Und die anderen Bilder?

Das wichtigste, die Darstellung einer "Andromeda", die seinerzeit zum Werk Tintorettos gerechnet wurde, mittlerweile aber einem Nachfolger zugeschrieben wird, wurde im Arbeitszimmer des Senatspräsidenten im Rathaus aufgehängt. Die anderen Bilder kamen in private Hände, unter anderem in Böhmckers eigene.

Aber formal wurde gekauft und nicht geraubt?

Ja. Der niederländische Historiker Gerald Aalder bezeichnet "Raub durch Kauf" als die "von den Deutschen bevorzugte Raubmethode". Insbesondere bei dem "Tintoretto" muss man sich wundern, dass diese kunsthistorische Rarität, als die sie Waldmann ansah, überhaupt zum Verkauf angeboten wurde. Böhmcker und Waldmann kauften unter anderem bei de Boer ein. Mindestens ein Fall ist dokumentiert, wo ein ehemaliger jüdischer Partner dieser Kunsthandlung ausreisen konnte, weil er vier Jan Brueghel-Gemälde an deutsche Käufer abtrat.

Welche Preise zahlten die Bremer?

Für den "Tintoretto" 18.000 holländische Gulden, für den "Wouvermann" und "Bol" 5.000 Gulden, die beiden "Bloemart" kosteten je 1.500. Der Bürgermeister kaufte ein Landschaftsbild von van Huchtenberg für 800 Gulden, was dem Gegenwert von 1.070 Reichsmark entsprach.

Wie viel sind die Bilder tatsächlich wert gewesen?

Das lässt sich heute schwer ermessen, zumal sie zum Tageskurs des Gulden eingekauft wurden. Die holländische Währung war da schon unter dem Druck der deutschen Besatzungswirtschaft und der steigenden Inflation. Als Beispiel für die hohen Werteinbußen von Kunstwerken kurz vor dem Krieg: Im Juni 1939 verkaufte der jüdische Sammler Meirowsky, der aus Berlin nach Amsterdam emigrierte, eine Küstenlandschaft von van Goyen für 1.200 Gulden. Das waren 1.587 Reichsmark zum aktuellen Tageskurs. Ursprünglich bezahlt hatte er 6.000 Reichsmark.

Die Besatzer hielten sich gleich zu Beginn an den reichen Niederlanden schadlos. Auch für die Bremer ergab sich offenbar ein gutes Geschäft, wenn man den überlieferten Worten Böhmckers trauen darf: "Wir sind nicht sehr voll am Beutel hinüber gefahren und haben trotz Schwierigkeiten einiges mitgebracht". Der Vorstand der Bremer Sparkasse hatte Böhmcker mitgeteilt, er teile "in jeder Weise" dessen Auffassung, "dass bei der einmaligen Gelegenheit, diese besonderen Kunstschätze für Bremen zu erwerben", eine vorzeitige Überschuss-Auszahlung von 28.000 Reichsmark zu veranlassen sei.

Wo sind die Bilder heute?

Das weiß ich nicht. Die holländische Exil-Regierung in London hatte bereits im Juni 1940 eine Notstandsverordnung erlassen, die alle geschäftlichen Transaktionen mit der Besatzungsmacht verbot. Auf dieser Grundlage sorgte die US-Armee im September 1945 für die Beschlagnahmung der Gemälde. Der weitere Verbleib des "Tintoretto" ist unbekannt. Der bereits zitierte Kunstvereins-Vorsitzer Apelt beklagt sich in seinen "Erinnerungen" über die erzwungene Rückgabe, er schreibt: "Nachher aber mussten sie, obwohl ehrlich erworben und bezahlt, ohne Entschädigung wieder heraus gegeben werden, so dass die holländischen Kunsthändler ein doppeltes Geschäft gemacht haben". Diese Interpretation ist typisch für die Verdrängung in der Nachkriegszeit. Für Apelt war der Überfall auf das kleine Nachbarland und dessen Ausbeutung nicht der Rede wert.

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