: Alte Bekannte
■ Besser leben in der neuen Welt: Das Kulturamt Friedrichshain zeigt unter dem Titel „Neuland“ Fotoarbeiten von Claudio Hils
Auch die DDR-Bürger wollten besser leben. Deshalb pappten sich Leipziger am Wahlabend des 18. März 1990 Aufkleber der CDU mit dem Spruch „Ja! Besser leben!“ an ihren alten, in der Sowjetunion produzierten Fernseher der Marke Junost und breiteten vor dem Fernseher ihre Deutschlandfahnen aus.
Und selbst wenn die Geräte oft verzerrte, schwarzweiße Bilder erzeugten und Kohl noch dicker aussah als sonst, ließen diese Arrangements an Altare im Neuland denken: Also zeigt die Fotogalerie des Kulturamtes Friedrichshain auch unter dem Titel „Neuland“ Fotografien von Claudio Hils, die im Jahrzehnt nach dem Mauerfall entstanden.
Nach Friedrichshain passt die fotografische Dokumentation zwischen Geschichtsschreibung und Bildgeschichte gut, wird doch der neue Szenebezirk mit ungebrochener Sanierungswut rausgeputzt.
Alles wird bunter. „Zu viel Farbe“, hat deswegen auch ein Besucher ins Ausstellungsbuch geschrieben, „mir fehlt die Seele des Dokumentarischen.“ Doch so ganz richtig hat er nicht hingeschaut. Denn der Essener Fotograf legt mit mit „Neuland“ eine Arbeit vor, „deren Dokumentationstiefe und Aussagevielfalt von Sensibilität im Umgang mit einem zeitgeschichtlichen Thema spricht“, wie Uwe Zahlaus im Katalog schreibt.
Und weil das Thema die Zeiten- und Gesellschaftswende im Osten ist, trifft man sozusagen auf alte Bekannte: Ostberliner, die den U-Bahnhof Schlesisches Tor im November vor zehn Jahren überfüllten; Grenzsoldaten und Mauertouristen am Potsdamer Platz; Deutschlandfahnen auf einer Leipziger Montagsdemo, daneben Faschos mit der alten Reichsflagge. Claudio Hils zeigt die Symbolik der neuen Welt. Und die ist eben durch den Westen bestimmt, durch die Verheißungen der neuen Waren- und Werbewelt.
Schöner staunen war nie. Und wenn es blöde Wichtelmänner in einem Schaufenster auf dem Ku'damm sind. Lange Zeit zum Bestaunen der neuen Wahrzeichen blieb jedoch nicht. Schon im März 1990 machte Hils die Aufnahme von einer Demonstration zum Erhalt von Arbeitsplätzen in Borna. Und auch abziehende russische Soldaten, die noch einmal paradieren, verwaiste Betriebsgelände und triste Tagebaulandschaften vermitteln nicht gerade das Bild einer schönen neuen Welt.
Claudio Hils richtete sein Objektiv vor allem auf die Ambivalenzen der neuen gesamtdeutschen Wirklichkeit. Und da sieht man dann keine glücklich lachenden Menschen mehr, sondern durchgestylte und öd wirkende Plätze wie die Potsdamer-Platz-Arkaden, besetzte Häuser (die wahrscheinlich schon geräumt sind), sanierte Hochblockhäuser, die trotz Farbe steril wirken, oder Menschen beim „illegalen Grenzübertritt“ bei Zittau. Die wollen auch nur ins „Neuland“, müssen aber oft genug draußen bleiben. Andreas Hergeth
Bis 30. Oktober, Di – Sa 13 – 18, Do 10 – 18 Uhr, Fotogalerie des Kulturamtes Friedrichshain, Helsingforser Platz 1
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen