piwik no script img

Altbauabriss an der KastanienalleeEin Haus muss weichen

Schicke Wohnungen in guter Lage sind begehrt: Eine der Topadressen ist die Kastanienallee, die Mitte und Prenzlauer Berg verbindet. Hier wird einer der letzten unsanierten Altbauten abgerissen.

Hinter drei Kastanien, eingerahmt von zwei Fünfgeschossern, steht das Haus in der Kastanienallee 42. Manchmal geht das große Tor auf, ein Baulaster fährt mit Resten des Innenleben des rund 150 Jahre alten Hauses raus. Der dreistöckige Altbau in Mitte wird aber nicht saniert - er wird entrümpelt, entkernt, abgerissen. Ein Neubau mit Tiefgarage soll seinen Platz einnehmen.

Die Häuser der Kastanienallee sollten schon zu DDR-Zeiten komplett entwohnt und zugunsten von Neubauten abgerissen werden. Allein die chronisch klammen Kassen ersparten den Altbauten seinerzeit dieses Schicksal. Stattdessen hielten KünstlerInnen, teils durch Hausbesetzung, Einzug in der Kastanienallee. Nach 1989 wurden die Altbauten aufwändig saniert. In Mitte und Prenzlauer Berg sind diese hochwertigen Wohnungen bis heute heiß begehrt. Günstiger Wohnraum ist kaum noch zu kriegen.

Christine Lüderitz hat zehn Jahre lang in der Kastanienallee 42 gelebt, zuletzt mit ihren drei Kindern. 350 Euro haben sie für die kleine Vierzimmerwohnung bezahlt. Vor zwei Wochen hat die 34-Jährige schweren Herzens alles zusammengepackt: "Ich frage mich noch heute, ob ich das hätte verhindern können." Als das Haus 2007 versteigert wurde, hatte Familie Lüderitz zunächst auf eine Sanierung gehofft. Die letzte lag mehr als 20 Jahre zurück: Fenster, Dach und Türen hätten eine Generalüberholung gut gebrauchen können. "Aber es war definitiv bewohnbar", sagt Lüderitz, "wenn ich es mit meiner neuen, doppelt so teuren Wohnung vergleiche, dann war der Zustand hervorragend." Der neue Eigentümer sah das anders, im Sommer 2009 flatterte den sechs Mietparteien die Kündigung ins Haus.

Hausverwalter Oswald Stadelmeier begründet den Abriss: "Das Haus war nicht mehr renovierungswürdig, da war überall der Hausschwamm drin." Dies habe ein vereidigter Bausachverständiger in seinem Gutachten festgestellt. Ein Neubau sei somit wirtschaftlich sinnvoller gewesen als eine Sanierung. "Es wäre schön gewesen, wenn wir die Kastanienallee 42 erhalten hätten können. Denn ein sanierter Altbau ist immer teurer zu vermieten als ein Neubau", sagt Stadelmeier. Dem Eigentümer, einem Privatmann, gehört auch das Nachbarhaus, ursprünglich ebenfalls ein Dreigeschosser. Im Gegensatz zum DDR-Charme in der Kastanienallee 42 besticht das Nachbarhaus aber durch höhere Decken und Stuck. Der Eigentümer hat es sanieren, um zwei Etagen aufstocken und einen Fahrstuhl anbauen lassen.

Die gesamte Kastanienallee gehört zum sogenannten Erhaltungsgebiet. Das heißt, die dortige Baustruktur steht unter Schutz, das Gesamtensemble muss erhalten bleiben. Ein Abriss einzelner Gebäude ist demnach nur zulässig, wenn eine Sanierung erheblich teurer wäre. Kristina Laduch ist Leiterin des Stadtplanungsamtes Mitte und für die Erteilung der Abrissgenehmigungen zuständig. Im Fall der Kastanienallee 42 habe die Behörde den Abriss erst nach der ausführlichen Prüfung des vorgelegten Gutachtens genehmigt.

"Wir haben es uns nicht einfach gemacht. Allein der Wunsch eines Eigentümers, statt einem weniger schicken Altbau einen tollen Neubau hinzusetzen, reicht da nicht aus", so Laduch zur taz. Überhaupt sei dies ein "absolut seltener Fall". Insgesamt sind nach Angaben der Bauaufsicht seit 1990 nur 79 Abrisse beantragt oder angezeigt worden. Eine gesonderte Auswertung für Altbauten gebe es nicht.

In der Kastanienallee 42 soll der Abriss noch in diesem Monat abgeschlossen werden. Christine Lüderitz fährt jeden Tag an ihrem alten Zuhause vorbei. Sie wäre gern dort wohnen geblieben, will nicht glauben, dass das Haus nicht mehr zu retten gewesen wäre: "Man muss doch nicht aus allem Luxuswohnraum machen, nur weil man es kann. Da geht doch jede Vielfalt verloren."

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

1 Kommentar

 / 
Kommentarpause ab 30. Dezember 2024

Wir machen Silvesterpause und schließen ab Montag die Kommentarfunktion für ein paar Tage.
  • HG
    Herr Günni

    eine kritischere auseinandersetzung mit dem sachverhalt gibt es dort http://bit.ly/bGFKBN