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Alt-Atomkraftwerk im Stand-byNun doch eine Kaltreserve

Einer der acht derzeit abgestellten Atommeiler könnte noch bis 2013 betriebsbereit gehalten werden. Das Ziel wäre, mögliche kurzzeitige Stromlücken zu schließen.

Sieht schon so eingemottet aus, könnte aber am Netz gehalten werden: Akw Philippsburg. Bild: reuters

FREIBURG taz | Eines der acht stillgelegten deutschen Atomkraftwerke soll nun vermutlich doch noch als sogenannte Kaltreserve bis März 2013 in betriebsfähigem Zustand gehalten werden.

Diese Möglichkeit hat die Bundesregierung mit der am letzten Freitag verabschiedeten Novelle des Atomgesetzes ausdrücklich geschaffen. Und einiges deutet darauf hin, dass die zuständige Bundesnetzagentur von ihr Gebrauch macht.

Die Entscheidung muss in den nächsten Wochen fallen. Bis zum 1. September hat die Bundesnetzagentur Zeit, einen Atommeiler zum Reservekraftwerk erklären. Da die Regulierungsbehörde vor allem in Süddeutschland mit Engpässen bei der Stromversorgung rechnet, kommen dafür die Reaktoren Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 in Baden-Württemberg, Biblis A und B in Hessen sowie der Meiler Isar 1 in Bayern infrage.

Die Alternative, eine fossile Kaltreserve vorzuhalten, habe sich "bislang nicht als tragfähige Option entpuppt", sagt Netzagentur-Chef Matthias Kurth. Die bisher vorliegenden Zahlen sprächen "eher dafür, dass wir eines dieser Kernkraftwerke benötigen werden".

Abgeschaltete fossile Kraftwerke sind keine Lösung

Abgeschaltete fossile Kraftwerke wieder in Betrieb zu nehmen, scheitert nach Auskunft der Netzagentur oft an technischen Problemen. Teilweise seien die Anlagen seit zehn Jahren abgeschaltet und hätten Rost angesetzt, sagt Kurth - wie etwa ein Ölkraftwerk in Pleinting in Bayern. Selbst wenn man die Anlagen wieder anfahren könnte, würde dies für den kommenden Winter kaum noch helfen.

Seine Behörde suche weiterhin nach konventionellen Kraftwerken, die im Falle winterlicher Engpässe einspringen können, so Kurth. Doch die Chancen, eine nichtnukleare Lösung zu finden, würden geringer. Gleichzeitig prüfe die Netzagentur daher bereits, nach welchen Regeln ein Atomreaktor ausgewählt werden könnte, wenn sich dies als unumgänglich erweisen sollte.

Laut Atomgesetz ist die atomare Kaltreserve auf die kommenden beiden Winter beschränkt. Ab dem Winter 2013/14, so die Argumentation, seien so viele der derzeit in Bau befindlichen fossilen Kraftwerke fertiggestellt, dass die Gefahr mangelnder Kapazitäten zur Stromerzeugung gebannt sei. Interessant ist die Begründung für die Kaltreserve: Sie werde, so die Bundesnetzagentur, für Wintertage gebraucht, an denen wenig Sonne scheint und kaum Wind weht. Womit dann umgekehrt dokumentiert ist, welchen Beitrag die erneuerbaren Energien bereits zur Stabilität des Stromnetzes leisten.

Atomare Kaltreserve

Sollte es tatsächlich zur Festlegung eines atomaren Reservekraftwerks kommen, sind noch viele Fragen zu klären. So steht noch nicht fest, wie das betreffende Kraftwerk aufgerüstet werden muss, um den nach Fukushima verschärften Sicherheitsanforderungen gerecht zu werden. Auch die wirtschaftlichen Aspekte eines Reservemeilers sind schwer zu kalkulieren, zumal auch gar nicht sicher ist, ob dieser wirklich Strom produzieren wird - das hängt vor allem vom Wetter in den nächsten beiden Wintern ab.

Absehbar ist, dass die Kosten für die Betriebsbereitschaft den Stromkunden auferlegt werden: Sie würden auf die Netzentgelte aufgeschlagen. Und die muss jeder bezahlen, egal von welchem Lieferanten er seinen Strom bezieht. Auch politisch wäre die Entscheidung für ein Reserve-AKW heikel: Sie weckt den Eindruck, den Atomausstieg aufzuweichen. Die Ärzteorganisation IPPNW etwa hat die Netzagentur bereits aufgefordert, "von der Empfehlung einer nuklearen Kaltreserve abzusehen".

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10 Kommentare

 / 
  • DW
    der Weihnachtsmann

    Wir brauchen keine Reserve, wir brauchen alle mal den Verstand, unnötige Verbraucher abzuschalten. Sparen ist die Devise, ganz einfach. Aber unsere "Regierung" würde

    nie auf die Idee kommen an unsere Vernunft zu appelieren.

    Sie verarscht uns nach Strich uns Faden - und steckt fleissig weiter das Schmiermittel der Atomlobby in die Tasche.

  • S
    Stromleck-Sucher

    Ich habe mit Strommessgerät vom örtlichen Netzbetreiber (gratis) einige Standby-Verbraucher entdeckt, die mir bislang entgangen waren (z.B. Radios). Die habe ich inzwischen alle mit Schalter versehen, entweder ins Kabel eingebaut oder per Steckerleiste.

     

    Jetzt spare ich ca. 12 Watt Dauerleistung. Klingt wenig, macht aber im Jahr bis zu 105 kWh.

     

    Und bei 80 Millionen Einwohnern 960 Megawatt. Das wäre etwa ein AKW. O.K., kleine Kinder haben keine Radios - aber einiges käme bestimmt zusammen.

     

    Angenehmer Nebeneffekt: Ich spare ab jetzt jedes Jahr über 20 Euro.

  • B
    B.Palme

    Es wird nie einen richtigen Atomausstieg geben, das ist der Vorgeschmack. Sie sind im Anti-Atomtrend, aber mehr auch nicht. Solange es keine richtige gesetzliche Verankerung für den Atomausstieg gibt, wird es auch in Zukunft keinen Atomausstieg geben.

  • M
    monochromata

    "Womit dann umgekehrt dokumentiert ist, welchen Beitrag die erneuerbaren Energien bereits zur Stabilität des Stromnetzes leisten."

     

    Naja, "Stabilität" ist wohl nicht das richtige Wort, wenn man von Tagen spricht, an denen die Sonne nicht scheint und kein Wind weht. Stattdessen kann der Beitrag der Erneuerbaren zur Stromerzeugung so "umgekehrt dokumentiert" werden.

  • JD
    Jörg Dürre

    Ich habe die Bundesnetzagentur gestern per Email darauf aufmerksam gemacht, dass 295 Megawatt Leistung aus EEG Pflanzenöl BHKW mit wenig technischem Aufwand als virtuelles Kraftwerk aktivierbar sind.

    Diese Kraftwerke stehen derzeit größtenteils still, da die Ölpreissteigerung über die Biodieselquote die Kraftwerke unwirtschaftlich macht.

    Pflanzenölkraftwerke stehen zu einem großen Teil in Süddeutschland. Sämtliche dieser 295 Megawatt sind bei der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung mit Adresse und Leistung bekannt.

    Entweder die Erstattung der zusätzlichen Kosten für Pflanzenöl oder die Erlaubnis des Betriebs mit Heizöl, würden die größtenteils mittelständischen Betreiber motivieren, die Anlagen als Reservekraftwerke bereit zu stellen.

  • V
    vic

    Die Steinchen fügen sich zusammen. Ich habe Merkel in Sachen Atomausstieg nie getraut.

    Zusätzlich zu den Steinchen, die sich finden, wird Deutschland von jetzt an mit neuen Kohlekraftwerken nur so zugeschissen.

  • K
    kleinalex

    So ganz verstehe ich das Konzept noch nicht:

    Ein Kernkraftwerk, dass mehrere Tage zum Anfahren braucht (in der Regel bis zu drei Tage), soll kurzfristig einspringen, wenn es mal im Winter Tage gibt, an denen nicht genug sonstiger Strom produziert wird.

     

    Nur: Woher weiß dass KKW im voraus, dass ein solcher Tag kommen wird? Das kann doch nur funktionieren, wenn das KKW solange durchgehend läuft, nur nicht auf voller Leistung. Wäre es abgeschaltet, dann würde das schlicht nicht funktionieren. "Betriebsbereit" bedeutet in diesem Zusammenhang also: "In Betrieb".

  • A
    atomfreund

    1. Eine „Kaltreserve“ ist erforderlich.

    2. Ein Einschalten so, als schalte man das Licht ein, ist bei beiden Kraftwerkstypen schlechterdings nicht möglich.

    3. Wenn es schon sehr schwierig ist, ein konventionelles Kraftwerk vorzuhalten, um so schwieriger ist dies bei AKW. Sie sind wegen ihrer exorbitanten Kosten und technischen Komplexität Lichtjahre von den Vorgenannten entfernt.

    4. Das Vorhalten von AKW birgt genau die radioaktiven Risiken in sich, die mit dem Ausstieg eliminiert werden sollen.

    5. Dauerhaft bietet sich daher an, eine hinreichende Versorgung mit entsprechenden Reserven z.B. durch ausrechend dimensionierte Pumpspeicherkraftwerke einerseits und mittels gezielter Förderung, massenhaft kleinteilige Wärme-Kraft-Kopplung zu etablieren. Letzteres bedeutet auch, Marktmacht und deren Mißbrauch von Großunternehmen zu reduzieren.

  • HH
    Heiko Höfle

    Neckarwestheim I kommt als Kaltreserve in Frage?

    Haben die nen Schuss?

     

    Neckarwestheim I hinkt in Sachen Nachrüstungen um JAHRE hinterher! Tanja Gönner hatte ja extra den Antrag der EnBW über drei Jahre lang auf ihrem Schreibtisch liegen lassen, nachdem die Reststrommengenübertragung von Neu auf Alt nicht genehmigt wurde. Und nach der Laufzeitverlängerung nach dem Regierungswechsel wurden Anfroderungen gestellt - die Nachrüstungen für GKN I waren zu teuer. Daher hat die EnBW den Meiler ja selbst stillgelegt!

     

    Und dieser Altmeiler, der absolut KEINEN Sicherheitsstandards mehr genügt - der soll als Kaltreserve dienen?

     

    Ach ja, die Kaltreserve wird und 50 Millionen pro Jahr kosten. Für nichts und wieder nichts.

     

    Falsch, 50 Millionen für die Atomindustrie. Prima.

  • A
    aurorua

    Technisch unrealistisch um kurzfristig Stromlücken zu füllen. Bloß ein Hintertürchen für die A-Mafia!