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„Als ob Memmingen auf dem Mond liegt“

■ Kleine Umfrage unter Bremer GynäkologInnen / Ihr Memminger Kollege Dr. Theissen wurde zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt / Heute Protest-Aktion auf dem Bremer Marktlatz

Das Urteil im Memminger Abtreibungsprozeß ist gefällt. Die Bremer Gruppe „Frauen gegen den Paragrafen 218“ ruft für heute zu einer Protestaktion auf den Marktplatz.

Wie aber denken die Bremer GynäkologInnen darüber, daß in Memmingen ein Kollege aus ihrer Zunft zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde - nach den Paragraphen 218 und 219? „Donnerschlag, die haben aber zugelangt“, entfährt es dem Frauenarzt Dr. M. Issa, als er von der taz-Reporterin das Strafmaß hört. Nein, in Bremen habe man von

den Memminger Prozessen nichts gespürt, keine Verängstigung oder Verunsicherung - „so als ob Memmingen auf dem Mond liegt“.

Hat es Diskussionen unter den Bremer Gynäkologen über Memmingen gegeben? „Da kursiert in dieser Hinsicht gar nichts. Man fühlte sich dadurch nicht angesprochen. - Ein Urteil in diesem Ausmaß ist vermutlich für alle überraschend. Überlegungen, ob das Schule macht, werden sicherlich jetzt erst losgehen.“

Seine Kollegin Mura Kastendiek aus Bremen-Nord: „Ich

glaube, daß wir im Moment in Bremen nicht gefährdet sind. Es ist schwieriger, uns an den Karren zu fahren, weil wir den gesetzlichen Rahmen einhalten.“ (Dr. Horst Theissen in Memmingen hatte auch Abtreibungen vorgenommen, wenn eine Patientin keinen Nachweis über eine soziale Beratung und die Indikationsstellung einer anderen ÄrztIn mitbrachte. Auch war es ihm als bayerischem Gynäkologen nach dortiger Rechtslage nicht erlaubt, ambulante Abbrüche vorzunehmen.) Mura Kastendiek befürchtet allerdings auch bis hoch

nach Bremen „ideologische Auswirkungen“, „daß das Klima angeheizt wird“.

Dr. M. Issa ist der einzige taz-Befragte, dem (s.o.) ein spontanes „Donnerschlag“ entrutscht. Abgesehen davon, daß die meisten antelefonierten FrauenärztInnen sich am Freitag nach Himmelfahrt auf einem sonnigen Kurzurlaub befinden, halten sich die KollegInnen bedeckt.

Die Frauenärzte Dr. Baumjohann und Dr. Mokroß wollen sich erst einmal selbst näher über das Thema informieren, bevor sie mit einer Zeitung sprechen. Und ein dritter, Dr. Ekkard Peltz, warnt die Reporterin vor voreiligen Schlüssen: „Da waren nicht nur ärztliche, sondern auch finanzielle Dinge im Spiel; die Steuerfahndung war mit dabei.“

Der Vorsitzende des „Landesverbandes des Berufsverbandes

der Gynäkologen“, Peter Schütte, möchte das Urteil erst prüfen, bevor er sich endgültig äußert: „Ich kann nicht beurteilen, was im einzelnen die Vorwürfe sind.“ Schließlich seien mit der Steuerfandung doch zwei unterschiedliche Straftatbestände im Spiel. Hat er schon einmal an eine Protesterklärung seiner Bremer Standesorganisation für Dr. Theissen gedacht? Nein. Das Urteil müsse erst genau geprüft werden. Befürchtet er Konsequenzen für Bremen? „Nein. Ob ich den Paragrafen 218 liebe oder nicht, man muß sich dran halten, dann wird's gehen.“

Barbara Debus

Frauenaktion heute, 11.30 Uhr auf dem Marktplatz mit den Forderungen: Rücknahme aller bisherigen Verurteilungen wegen §§ 218, 219 StGB, Ersatzlose Streichung des §218.

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