Als Sexsklavin nach Asien verschleppt: Sarah hat noch Angst
Sie träumen von Europa – und enden als Zwangsprostituierte in Asien. Nun konnten 14 junge Uganderinnen aus den Fängen eines Menschenhändlerrings gerettet werden.
KAMPALA taz | Sarah hat Angst. Das sieht man auf den ersten Blick. Die Uganderin kratzt am Lack ihrer dunkelrot angemalten Fingernägel. Unruhig rutscht die Mitte 20-Jährige in dem großen Ledersessel auf der Veranda eines luxuriösen Hauses in Ugandas Hauptstadt Kampala herum. Sie sieht abgemagert aus, hat Schatten unter ihren eingefallen Augen.
„Ich weiß, dass sie nach mir suchen, und sie wissen, wo ich wohne“, flüstert Sarah, während sie die Hautfetzen an ihren Fingernägeln abpuhlt, bis die Finger bluten. Sie traut sich nicht nach Hause, versteckt sich nachts bei Freundinnen.
Tagsüber sitzt sie auf der sicheren Veranda der malaysischen Honorarkonsulin in Uganda, Hajah Noraihan – Sarahs Retterin vor einem Leben als Sexsklavin in Asien.
Sarah ist erst seit wenigen Wochen zurück in ihrer Heimat – nach einem Horrortrip nach Malaysia. Dabei hatte sie von einem gutbezahlten Job in Europa geträumt. „Man hatte mir eine Stelle als Serviererin in einem Restaurant versprochen“, erzählt sie. „Doch das war eine Lüge.“
Jahrelang arbeitslos
Nach UN-Schätzung werden jedes Jahr zwischen 700.000 und vier Millionen Menschen weltweit in die Prostitution, die Zwangsarbeit oder andere Formen sklavereiähnlicher Abhängigkeit verkauft.
Zu den wichtigsten Abnehmerländern gehören Australien, Brasilien, Frankreich, Großbritannien, Indien, Israel, Japan, die Niederlande, Nigeria, Saudi-Arabien, die Vereinigten Staaten und die Vereinigten Arabischen Emirate.
Nicht zu verwechseln ist Menschenhandel mit Menschenschmuggel, bei dem Flüchtlingen oder Migranten gegen Geld geholfen wird, Grenzen ohne Papiere zu überqueren, ohne dass daraus ein weiterführendes Abhängigkeitsverhältnis entsteht. In der Politik wird beides zuweilen gleichgesetzt - und damit die Abwehr von Flüchtlingen als Menschenhandelsbekämpfung beschönigt. (dj)
Sarah ist nicht ihr richtiger Name und sie will nicht, dass ihre Horrorgeschichte in Einzelheiten erzählt wird. Jedes Detail könnte sie verraten. Aber ihre Geschichte ähnelt der von weiteren 13 jungen Frauen, die Honorarkonsulin Noraihan in den vergangenen drei Monaten nach Uganda zurückgebracht hat.
„Ich war jahrelang arbeitslos“ – so beginnen fast alle 14 Aussagen, die der taz schriftlich vorliegen. Auch die schlanke Sarah hatte nach ihrem Schulabschluss nach einem Job gesucht. In Kneipen, Internetcafés, Bekleidungsgeschäften. Vergeblich.
Einige der jungen Frauen hatten in Kampalas Einkaufszentren ausgehängte Flyer entdeckt, auf denen mit Jobs in Asien geworben wird. Andere vertrauten den Versprechungen von Bekannten, Freunden oder Nachbarn.
„Es war eine ugandische Frau, die mich angeworben hat, warum hätte ich etwas Schlimmes vermuten sollen?“, berichtet Sarah. Heute weiß sie, dass dies eine Taktik des Schmuggelrings ist, um Vertrauen aufzubauen. „Die Frau sagte, ihre Schwester habe in Europa ein Restaurant, wo ich arbeiten soll“, erzählt sie. Über 300 US-Dollar könne sie dort monatlich verdienen.
Sarah war vorher noch nie im Ausland. Sie saß auch noch nie in einem Flugzeug. Sie besaß nicht einmal einen Reisepass, für dessen Ausstellung sie sich Geld von Verwandten leihen musste.
„Ich sollte doch nach Europa“
Die ominöse Uganderin fuhr Sarah zum Flughafen, drückte ihr ein Ticket in die Hand und ließ sie einen Vertrag unterzeichnen: Sie würde alle Reisekosten im Wert von 7.000 Dollar abarbeiten. Sarah unterschrieb.
„Als das Flugzeug in Malaysia landete, war ich verwirrt“, gibt Sarah zu: „Ich sollte doch nach Europa.“ In ihrer Verzweiflung rief sie eine Nummer an, die sie erhalten hatte. Es meldete sich eine Uganderin, die sie mit einem Taxi abholen ließ – die Schwester der Frau, die sie rekrutiert hatte. Die dickleibige Dame mit blond eingefärbten Locken stellte sich selbst als „Winnie“ und ihren nigerianischen Ehemann als „AGK“ vor.
Ohne Pass in der Falle
Die beiden steckten Sarah mit zehn weiteren Frauen aus Uganda in ein Apartment in den Mentari Courts, eine Wohnsiedlung in Kuala Lumpur. Winnie händigte ihr Miniröcke und bauchfreie Tops aus: „Dein Job im Restaurant ist nicht Essen zu servieren, sondern dich selbst.“
Sie nahm ihr den Pass ab. Sarah saß in der Falle – und nicht nur sie: „Die Wohnsiedlung waren voller Frauen“, berichtet Sarah, „das waren Hunderte Uganderinnen und Nigerianerinnen.“
Jeden Abend mussten sie ihre Schichten antreten, in Hotels oder Kneipen – oder die Männer wurden ihnen direkt ins Apartment geschickt, drei bis fünf pro Nacht.
Sarah arbeitete im Station One, einem In-Lokal, berühmt für seine Hühnchen-Nudeln und Livebands. Wie Sarah, so bestätigen auch die anderen Frauen: „Die Freier waren ausschließlich Nigerianer, die in Malaysia Geschäfte machen.“
Während Sarah erzählt, flüstert im Garten Konsulin Noraihan mit Vertretern von Ugandas Präsident Yoweri Museveni. Er hat Ermittler geschickt. „Wir nehmen die Anschuldigungen des Menschenhandels sehr ernst“, erklärt deren Chef. Der Präsident wolle Noraihan und die betroffenen Frauen persönlich sprechen.
Im Haus versteckt
Die Honorarkonsulin wurde unfreiwillig verwickelt. „Eines Tages standen diese armen Mädchen vor meiner Tür“, erzählt sie. Damals war sie selbst in Malaysias Hauptstadt. Wochenlang hat sie sie in ihrem Haus in Kuala Lumpur versteckt, sie versorgt, ihre Aussagen aufgenommen und schließlich Geld von der Internationalen Organisation für Migration (IOM) beschafft, um Flugtickets nach Uganda zu kaufen. Persönlich hat sie Sarah und weitere 13 Frauen nach Kampala begleitet und die Polizei informiert.
Noraihan zeigt Fotos auf ihrem Computer: Im zerrissenen grünen Trägershirt liegt eine junge Frau in einer Blutlache auf dem Asphalt. „Man hat sie vom Balkon geworfen“, erklärt Noraihan.
Sie klickt weiter: Halbnackt liegt eine Frau auf dem Bett. Ihr Bauch ist aufgeschlitzt, die Gedärme quellen heraus. „Wenn sie sich weigern, werden sie gefoltert“, so Noraihan.
Es gebe nur einen Weg, diese Verbrechen zu stoppen, sagt die resolute Malaysierin: Aufklärungsarbeit an der Quelle, also in Uganda selbst.
Menschenhandel ist Chefsache
„Jede Mutter, jeder Vater, jede Schwester oder Tante in Uganda muss wissen, dass sie ihre Mädchen nicht einfach so ins Ausland verschicken dürfen“, rügt sie und greift zum Telefon, das alle paar Minuten klingelt: Polizeikommandeur Asan Kasingye ist dran, Direktor von Interpol in Uganda, der eine Menschenschmuggel-Einheit einrichten will.
In seinem Büro in Kampalas Innenstadt sitzt Kasingye in feiner Uniform hinter seinem aufgeräumten Schreibtisch. Familienfotos hängen neben Plaketten an der Wand. Der Offizier ist erst seit drei Monaten im Amt – aber er hat den Menschenhandel zur Chefsache erklärt.
„Wir müssen verhindern, dass unsere Frauen dieser modernen Art von Sklaverei zum Opfer fallen“, erklärt er und listet die ersten Erfolge seiner Ermittlungen auf. Vor wenigen Minuten erst hat er Einheiten entsendet, Verhaftungen durchzuführen. „Wir haben Spuren, wo und von wem die Frauen rekrutiert werden“, nickt er.
Erste Verhaftungen
„Es ist ein globaler Schmuggelring, dem in Kampala einige Ugander zuarbeiten“, sagt Kasingye und zeigt Statistiken: Von 2008 bis Mitte 2011 gab es rund 50 Fälle, bei welchen ugandische Frauen außer Landes verschleppt wurden. Von August 2011 bis jetzt schätzt Kasingye, dass 600 Uganderinnen allein nach Malaysia gebracht wurden.
Zwischen Malaysia und Uganda besteht Visumfreiheit – ein Schlupfloch, das die Schmuggler ausnutzen. Zielländer seien aber auch Indien, China, Thailand, Indonesien oder die Arabischen Emirate – eben überall dort in Asien, wo sich aufgrund der rasanten Wirtschaftsentwicklung afrikanische Geschäftsmänner niederlassen, die sich dann nach afrikanischen Frauen verzehren.
Betroffen sind Tausende
Es seien auch Kenianerinnen, Ruanderinnen und Kongolesinnen dabei, so Kasingye: „Wir sprechen von Tausenden Ostafrikanerinnen, die monatlich den Menschenhändlern ins Netz gehen.“
Die Aussagen der rückgeführten Frauen ergeben erste Hinweise über die Zusammensetzung des Rings. „Sie werden von Landsleuten rekrutiert und dann der nigerianischen Mafia übergeben“, erklärt der Interpol-Chef, der mit Kollegen in Asien und Westafrika Kontakte aufgenommen hat.
Die Nigerianer würden mit den Frauen auch Drogen nach Asien schmuggeln wie Kokain und Methamphetamin, bekannt als „Ice“ oder „Chrystal Meth“. „Wir haben es hier mit einem weltweit agierenden kriminellen Netzwerk zu tun“, nickt Polizeikommandeur Kasingye.
Spurensuche in Uganda
Um den Verbrechern das Handwerk zu legen, muss er in Uganda aufräumen. Eine Spur führt in die Migrationsbehörde, wo offenbar unter der Hand Reisepässe ausgestellt wurden. „Jemand dort ist wohl bestechlich“, gibt Kasingye zu. Andere Spuren führen in die zahlreichen Büros in Kampala, die Studienplätze und Studentenvisa in Asien vermitteln.
Es seien jedoch nicht ganze Institutionen verwickelt, sondern Einzelpersonen, die sich „nebenher etwas dazuverdienen“, so Kasingye und haut auf den Tisch: „Wir müssen diese Quelle austrocknen.“ Kasingye wünscht sich ein Ermittlungsbüro für ganz Ostafrika.
Sarah braucht erst einmal Schutz. Als sie von ihrem Ledersessel aufsteht, um mit den Ermittlern von Präsident Museveni zu sprechen, zittern ihre Hände. Sie hat Drohanrufe erhalten: Die Schamhaare der Frauen seien von Hexenmeistern mit einem Voodoo-Zauber belegt worden. Dies sei Humbug, um sie einzuschüchtern, weiß Sarah. Angst hat sie trotzdem.
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