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Alpenetappen der Tour der FranceDer Eigenbrötler

Bernhard Kohl vom Team Gerolsteiner überrascht bei der Tour de France als Gesamtzweiter. Der unaufgeregte Östereicher ist eine Erholung nach den dopenden Superstars der letzten Jahre.

Mit bescheidenem Stolz zeigt der gelernte Kaminkehrer das errungene Trikot für den besten Bergfahrer. Bild: dpa

BORGO SAN DALMAZZO taz Seit beinahe einer Stunde nun lässt Bernhard Kohl im sonnendurchfluteten Konferenzraum der Alpenpension "Navize-Te" geduldig die Fragen von einer Hundertschaft von Journalisten über sich ergehen. Der 26-jährige Niederösterreicher wirkt ruhig dabei, so, als würde er das jede Woche machen. Dabei haben sich bislang noch nie so viele Leute für ihn interessiert. Bevor er am vergangenen Sonntag in den italienischen Seealpen mit nur sieben Sekunden Rückstand auf den zweiten Platz der Tour de France vorfuhr, löste der Name Kohl außer bei intimsten Radsportkennern nur ein fragendes Stirnrunzeln aus. Kohl? Bernhard?

Die Erklärung für seine Souveränität gibt der kleine, unscheinbare Mann mit dem breiten österreichischen Tonfall selbst. "Ich denke, ich kann sehr gut Sachen ausblenden", sagt er. Kohl beherrscht die Kunst, Dinge nicht an sich heranzulassen. Beispielsweise, was es für einen noch jungen Rennfahrer bedeutet, so kurz davorzustehen, bei seiner erst zweiten Tour de France das größte Radrennen der Welt anzuführen. "Wenn ich die ganze Zeit über das Gelbe Trikot nachdenken würde, käme ich ja gar nicht mehr zum Schlafen", sagt er lapidar.

Kohl ruht in sich selbst. Am liebsten ist der gelernte Kaminkehrer mit sich und seinen Gedanken allein. Ständig schaut er auf seine Uhr, wann denn die Fragestunde am Ruhetag vorbei ist. Er kann es nicht erwarten, auf sein Rad zu steigen. Sein Handy, gesteht er, habe er schon seit Tagen nicht mehr angeschaltet.

Auch im Training geht Kohl eigene Wege. Während seine Mannschaftskameraden im Winter auf sonnigen Baleareninseln gemeinsam Kilometer schrubben, geht er auf Skitouren in den Dolomiten und im Großglocknergebiet. "Ich liebe die Ruhe in den Bergen", sagt er. Zur Vorbereitung auf die Tour die France hat er im Juni sämtliche Bergetappen erkundet. Begleitet hat ihn nur ein alter Schulfreund.

Die Diskussionen um seinen Sport und um das Doping vermag Kohl genauso abzuspalten wie alles andere. "Ich muss das doch von mir fernhalten, wenn ich mich hier auf meinen Job konzentrieren möchte", sagt er. Seine Meinung dazu deckt sich mit der offiziellen Sprachregelung der Tour: "Das System funktioniert, wir sind auf einem guten Weg", rezitiert er.

Ist man dem sympathischen Eigenbrötler Bernhard Kohl wohlgesinnt, dann gesteht man ihm zu, dass ihn seine Fähigkeit, sich abzuschotten, im Laufe seiner Karriere vor dem Schlimmsten bewahrt hat - etwa in den Jahren 2005 und 2006 beim Team T-Mobile etwas von dem mitbekommen zu haben, was sich damals bekannterweise hinter den Kulissen abspielte. Er habe nur gute Erinnerungen an diese Zeit, sagt er: "Ich habe dort sehr von den erfahrenen Rennfahrern gelernt." Von welchen genau, will er nicht präzisieren, wohl weil er weiß, dass eine Antwort verfänglich sein könnte. Schließlich fuhren 2005 und 2006 noch Männer wie Alexander Winokurow, Jan Ullrich und Matthias Kessler bei T-Mobile.

Aber vielleicht war es ja wirklich so, dass Kohl auch damals meistens alleine mit sich, seinem Rad und seinen Gedanken war und nichts hat an sich herankommen lassen. Jedenfalls spricht er über die Dopingtests bei der Tour ebenso lakonisch wie über das mögliche Gelbe Trikot. "Ich bin, glaube ich, vier Mal getestet worden. Ich weiß es nicht genau." Allzu viele Sorgen scheint er sich nicht zu machen. Womöglich ist der ruhige Österreicher wirklich einfach nur das, was er zu sein scheint: ein unaufgeregter, unaufregender junger Mann, der gerne alleine mit und ohne Rad in den Bergen unterwegs ist und der sich und die Welt gerade mit einem wunderbaren Sportmärchen beglückt.

Schön wäre das, und einer mit so wenig Starpotenzial wie Kohl auf dem Podest in Paris am kommenden Sonntag täte der Tour gut. Die Jahre der glamourösen Superstars haben sie jedenfalls in keinem guten Zustand hinterlassen.

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