Alltag in Mosambik: Eigentlich geht es aufwärts
Mosambik ist reich an natürlichen Ressourcen. Doch davon profitieren Funktionäre und große Konzerne. Die Menschen warten noch immer auf den neuen Wohlstand.
MAPUTO/BEIRA taz | James Cameron, der Regisseur des Films „Avatar“, stand einst vor diesem Baum. Er war beeindruckt: 20 Meter hoch, mächtiger Stamm, ein Geflecht aus Lianen, Ästen und großen, dicken Blättern. Der alte Feigenbaum, sagt Ivan Laranjeira, war sicher das Vorbild für die Baumwelt der blauhäutigen Bewohner des Planeten Pandora in Camerons Erfolgsfilm.
Kleiner Scherz. Stadtteilaktivist Laranjeira hat die Besucher aufs Kreuz gelegt und lacht sich schlapp. Cameron war niemals hier in Mafalala. Vielleicht 20.000 Menschen leben in dem Bezirk der mosambikanischen Hauptstadt Maputo, der noch immer vornehmlich aus einstöckigen Häusern mit Holz- und Wellblechwänden besteht. Die portugiesische Kolonialmacht hatte den Einheimischen einst verboten, feste Häuser aus Stein zu bauen.
Die Hälfte der arbeitsfähigen Bevölkerung von Mafalala verdient fast kein Geld. Die Grundschule Nummer 23 hat für 1.500 Schüler sechs Klassenräume. Deswegen wird in drei Schichten unterrichtet, morgens, mittags und nachmittags. 80 Kinder pro Klasse sitzen auf Tüchern auf dem Boden, weil es keine Tische oder Stühle gibt. Nicht nur James Cameron, auch die Regierung scheint den Stadtteil vergessen zu haben.
Trotzdem bewegt sich etwas. Der 28-jährige Laranjeira hat ein Business gegründet. Der Stadtteilverein, dessen „Präsident“ er ist, führt Touristengruppen durch das Gewirr der zuweilen kaum meterbreiten Gassen, und investiert einen Teil des verdienten Geldes in die Schule. Laranjeira trägt ein schickes grünes Jackett und spricht gut Englisch.
Mafalala ist für ihn die „Hauptstadt“ der Hauptstadt Maputo und damit auch gleich ganz Mosambiks. Warum? In diesem Blechhüttenbezirk lebten unter anderem die beiden ersten Präsidenten des 1975 unabhängig gewordenen Landes, als sie noch die portugiesische Kolonialmacht bekämpften. Außerdem, was vielleicht noch wichtiger ist, kickte auf dem sandigen Bolzplatz früher Eusebio, der bei der Fußballweltmeisterschaft 1966 in Wimbledon mit Portugal den dritten Platz eroberte.
Bessere Infrastruktur
Mosambik ist eines der ärmsten Länder der Erde. Aber seine Wirtschaft wächst seit Jahren stark – in chinesischen Schritten von mitunter 8 Prozent pro Jahr. Profitiert Mafalala davon? „Nein, das Leben hier wird nicht besser, die Leute haben nicht mehr Geld“, sagt Laranjeira und korrigiert sich dann. Es gebe auch Fortschritt – bei der Infrastruktur. Die Stadtverwaltung hat in den vergangenen Jahren Strom- und Wasserleitungen in den Stadtteil legen lassen. Allerdings nur bis zu zentralen Verteilerstellen. Die letzten Meter müssen die Leute selbst bezahlen – für viele ist das nicht bezahlbar.
Das Geld für solche Vorhaben kommt immer mehr aus Mosambik selbst. 2008 finanzierte sich der Staatshaushalt noch über die Hälfte aus dem Ausland, gegenwärtig ist es nur noch ein Drittel. Das Land erlebt derzeit einen Rohstoffboom. Die Aluminiumschmelze Mosal verarbeitet das Hauptexportprodukt. Bergbaukonzerne wie Rio Tinto (GB/Australien), Vale (Brasilien) und Anadarko (USA) erforschen Kohle- und Erdgasvorkommen. Sie rechnen mit steigenden Weltmarktpreisen und hohen Gewinnen – China und Indien warten schon auf die Lieferung. Die begehrten Ressourcen sind ein Schatz, den auch Mosambik nutzen könnte, um das Leben seiner Einwohner zu verbessern.
„Bisher kommt aber kaum etwas bei der Mehrheit der Bevölkerung an“, sagt Rogerio Ossemane vom sozialökonomischen Forschungsinstitut IESE in Maputo. Über die Hälfte der Bevölkerung lebe unterhalb der Armutsgrenze, die die Regierung bei einem halben Dollar pro Kopf und Tag gezogen hat. Dieser Anteil hat sich in den vergangenen Jahren nicht verändert. Aufgrund des Bevölkerungswachstums sei die absolute Zahl der Armen sogar um 1,8 Millionen Menschen gestiegen, erklärt der Wissenschaftler.
Daran etwas zu ändern trauen viele der Regierungspartei Frelimo nicht zu; seit 37 Jahren stellt sie den Präsidenten. Der 47-jährige Daviz Simango, dessen vergilbte Plakate aus dem letzten Wahlkampf auch an den Häuserwänden in Mafalala kleben, gilt dagegen als unverbraucht. Seine Stärke ist, dass er den direkten Kontakt zu den Leuten sucht. Gerade besucht er ein Armenviertel in Beira, einer Stadt zwei Flugstunden nördlich von Maputo, wo er Bürgermeister ist. In dem Gewirr der einstöckigen Hütten will Simango nachsehen, wie die Bewohner die Entwässerungskanäle sauber halten und sich gegen das Hochwasser des nahen Indischen Ozeans schützen. Der Mann mit dem mürrischen Gesicht kommt ohne Leibwächter, folgt den staubigen Wegen zum brackigen Kanal und spricht im Vorübergehen Händler und Passanten an.
Der Hoffnungsträger
Simango gehört der kleinen Oppositionspartei MDM an, die bei den letzten Wahlen viele Stimmen erhielt. Er kann auch staatsmännisch auftreten. „Wird Beira im Meer versinken? Nein, unsere Stadt wird nicht untergehen“, sagt er mit Pathos. Dann erteilt er das Zeichen, den Kran in Gang zu setzen und das fertiggestellte Wehr hochzuziehen. Das schwere Fluttor taucht zentimeterweise aus der Tiefe des Grabens auf. Bei Ebbe, wie jetzt, strömt die träge Brühe aus den Armenvierteln in den Ozean, bei Flut schützt das Bauwerk die Holz- und Blechhütten der Bewohner.
Aber steht Simango tatsächlich auf der Seite der einfachen Leute, wie er vorgibt? Mit ziemlich viel Geld und Massen von Beton hat seine Stadtverwaltung auch eine Reihe nobler Häuser reicher Leute geschützt, die auf einer hohen Düne thronen, mit bestem Seeblick. Ein sinnloses Unterfangen, meinen Wasserbauingenieure. Dieser Küstenabschnitt würde zwangsläufig irgendwann von einer Sturmflut weggerissen.
Simango ist der neue Mann des Volkes. Er kritisiert, dass Staatspräsident Armando Guebuza lieber mit chinesischen Krediten eine Brücke über die Hafenbucht von Maputo errichten will, statt Schulen auszurüsten. Er bemängelt, dass die herrschende Frelimo-Elite dicke Autos kauft, statt Straßen auf dem Land zu bauen, damit die Bauern ihre Tomaten zum Markt fahren können. Und Simango beklagt die Korruption: „Die großen Konzerne bezahlen fast keine Steuern.“ Funktionäre beschenkten Unternehmen, die sich wiederum bei den Politikern erkenntlich zeigten.
Sind diese Vorwürfe zutreffend? Carlos Mauricio Cabral Figueiredo bemüht sich, das seines Erachtens schiefe Bild geradezurücken. „Das Tribunal in Maputo ist heute einer der besten Rechnungshöfe Afrikas“, sagt er. Der Abgesandte der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) soll den mosambikanischen Kollegen helfen, gute Regierungsführung nach internationalen Standards durchzusetzen.
600 Fälle geprüft
Das Tribunal Administrativo, das alle staatlichen Verträge mit Privatunternehmen kontrolliert, residiert in einer wunderbaren Villa im portugiesischen Kolonialstil – blaue Fayencen an den Wänden, Stuck, ein luftiger Garten mit kleinem Teich. Im Jahr 2000 gab es den Rechnungshof quasi noch gar nicht, 2003 führte er sechs Prüfungen durch, 2010 waren es 600. Und mittlerweile werden auch Strafen verhängt, berichtet Figueiredo stolz. So wie in dem Fall, als ein Bauunternehmer im Norden Mosambiks Geld für 50 Sozialwohnungsbauten erhielt, aber nur zwei hinstellte.
Letztlich allerdings, das räumen die Mitarbeiter des Rechnungshofs ein, hat die Frelimo-Regierung das Heft in der Hand. Sie hält die Verträge mit Rio Tinto, Vale und anderen transnationalen Unternehmen unter Verschluss oder veröffentlicht sie nur teilweise. Die Menschen in Mosambik fragen sich mitunter zurecht, welcher Anteil des natürlichen Reichtums des Landes für seine Entwicklung zur Verfügung steht und welchen Anteil Funktionäre und Konzerne illegal privatisieren.
Aber was darf man in Mosambik erwarten? Zehn Jahre Unabhängigkeitskrieg gegen Portugal, danach 15 Jahre Bürgerkrieg. An dessen Ende 1992 gab es den Staat kaum noch. Die Leute vom Rechnungshof zeigen auf Fotos, wie früher ihre Arbeitsbedingungen waren. Da sieht man sie sitzen mit Kerze, Taschenlampe und Taschenrechner. Gemessen daran ist das Land in den vergangenen Jahren schon ziemlich weit vorangekommen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Juso-Chef über Bundestagswahlkampf
„Das ist unsere Bedingung“
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind
Verein „Hand in Hand für unser Land“
Wenig Menschen und Traktoren bei Rechtspopulisten-Demo
Internationaler Strafgerichtshof
Ein Haftbefehl und seine Folgen