Alltag in Gaza: Noch einmal duschen, bevor wir flüchten.
Unsere Autorin zögerte ihre Flucht hinaus, um Erinnerungen für später zu sammeln: An ihr Zuhause, ihr Bett, ihre Kleider. Bis Granaten einschlugen.
V or sechzehn Jahren verloren wir unseren Vater durch einen Luftangriff der israelischen Besatzungstruppen. Sie brachten ihn zu uns nach Hause, eingewickelt in ein Leichentuch. Es zu lüften, wurde unserer Mutter verboten. Sie erzählte uns: Er habe sich verabschiedet, und sei nie wieder von der Arbeit heimgekehrt.
Im ersten Winter des Krieges kamen die Fliehenden aus dem nördlichen Gazastreifen in meine Stadt im Süden. Wir suchten Kleidung, Decken und Pyjamas zusammen – alles, was wir brauchten, um zu helfen. In unserer Wohnung kamen Menschen unter, die wir nicht kannten.
Sie blieben die Nacht über, schlugen am Morgen die Augen auf und machten sich auf die Suche nach einem Zelt. Wir blieben in unseren vier Wänden und dankten Gott. Unser Haus schützte uns vor der Kälte – meinen Onkel und seine Töchter, meine Cousins und meine Tante und all die anderen, die bei uns schliefen.
Dann kamen die Truppen auch in unsere Stadt. Wir überlegten, was wir mitnehmen sollten: „Nicht zu viel packen. Die Operation in Rafah wird nicht lange dauern.“ „Wir sollten auch die Wintersachen mitnehmen. Wer weiß, wie lange wir dort sind.“ Wo ist „dort“? Wir wussten es nicht.
Bis die Granaten einschlugen
Wir stopften unsere Habseligkeiten in Mehlsäcke. Die Zeit reichte nicht aus, um sich von unserem Zuhause zu verabschieden: von meinem Bett und meinem Zimmer. Dem Kleid, das ich bei einer Poesielesung trug, schwarz mit einer hellen Rose an der Taille.
Wir zögerten unsere Flucht aus dem Süden hinaus – obwohl wir wussten, dass die Verhandlungen nicht erfolgreich sein würden und dass der Krieg auch zu uns kommen würde. Wir zögerten unsere Abreise hinaus, um so viel Zeit wie möglich zu gewinnen, um Erinnerung zu schaffen.
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Bis die Granaten in unserer Nähe einschlugen. Dann luden wir, was wir zusammengepackt hatten, in einen Lastwagen. Wir weinten. Meine Mutter berührte die Wände unseres Hauses. Sie fotografierte unsere geräumige Küche, das schmale Wohnzimmer, unsere Schlafzimmer, den Balkon mit Blick auf die Nachbarschaft, all unsere Kleidung, die nicht in den Transporter passte. Dann sagte sie: „Dusch noch einmal, damit wir es in den kommenden Tagen nicht müssen.“ Dann gingen wir.
Auf einem kleinen Stück Land auf einer verlassenen Hühnerfarm bauten wir unser Zelt auf und räumten den Inhalt des Lastwagens auf die Straße. Dann legten wir Teppiche auf den Boden des Zeltes und Matratzen. Nono, meine Katze, war unruhig. Zum ersten Mal hatte sie das Haus für einen anderen Ort als den Tierarzt verlassen müssen. Erst nach zwei Tagen begann Nono, sich im Zelt zu bewegen.
Nach zwei Monaten kamen die Panzer auch in das Gebiet, in dem wir ausharrten. Wir packten unsere Sachen und gingen an einen anderen Ort, und dann an einen anderen und an noch einen anderen.
Rooa Hassouna studierte an der English University in Gaza. Sie ist 23 Jahre alt, singt, schreibt Gedichte und nun auch einen Roman. Ihre Texte wurden in der palästinensischen Zeitung „Al-Ayyam“ veröffentlicht.
Internationale Journalist*innen können seit dem Beginn des Krieges nicht in den Gazastreifen reisen und von dort berichten. Im „Gaza-Tagebuch“ holen wir Stimmen von vor Ort ein.
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