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Allende, August, etc.Rhythmus ist alles

■ Bille August hat Isabel Allendes Roman „Das Geisterhaus“ verfilmt

Pferde dampfen, Mondlicht blakt, Bauern meutern, Tische schweben, und Glenn Close spielt ein Gespenst. Ganz schön was los hier! Chile 1920 und Chile 1973, die große Geschichte und die pittoreske Familie, an der sie sich vollzieht, Liebesszenen am murmelnden Bach, rachsüchtige Bastarde, Hochzeitsfeste, blaue Berge, putschende Generäle, und doch: Irgend etwas funktioniert nicht an diesem Film. Er versuppt.

Filmische „Epen“ oder, banaler gesagt, Literaturverfilmungen – denn die meisten dieser Epen beruhen auf Romanen – sind eine paradoxe Gattung. Zumeist dauern sie länger als die üblichen neunzig Minuten. Sie müssen sich also Zeit nehmen, um den Zuschauer nicht zu ermüden, und den Eindruck eines sicher tragenden Erzählstroms erwecken. Dies auch, um ihr in Wirklichkeit rasantes Tempo vergessen zu machen: Im „Geisterhaus“ vergehen siebzig Jahre in 150 Minuten. So ein Film braucht glaubhafte Schauspieler und gute Maskenbildner. Jeremy Irons ist da erstaunlich wandelbar. Er spielt den jungen, den mittelalten, den alten und den greisen Esteban Trueba, den romantischen Liebhaber und den finsteren Familientyrannen, der sich mit dem Unrecht verbündet, um seine Macht zu erhalten, und selber dran zerbricht – und immer nimmt man es ihm ab. Die anderen Schauspieler können sich mit ihm messen. Winona Ryder spielt eine halsstarrige und süße Blanca, Meryl Streep eine ätherische Clara und Glenn Close eine nicht nur in der Schauerszene unheimliche, sondern auch rührende und liebesbedürftige Tante Ferula. Die Masken, besonders die oft so lächerlichen Altersmasken, sind diskret.

An den Schauspielern liegt es also nicht, auch nicht an der Personenregie. Bille August ist zwar ein Akademiker des Kinos, aber versiert, mit Schauspielern kann er umgehen. Problematisch ist der Film auf einer anderen Ebene. „Letztlich ist der Rhythmus alles“, sagt der Produzent Bernd Eichinger im Presseheft: genau, und hier – auf der Ebene des Schnitts, des Tonteils und der Musik – mißlingt der Film. Es fehlt so etwas wie die Qualität des Schocks, der einen ab und zu aus dem trägen Erzählstrom herausreißen könnte. Selbst der rollende Kopf der Großmutter (Vanessa Redgrave) wirkt wie eingebunden in den flüssigen Duktus des Films. Aus der berechtigten Angst, den Zuschauer mit der Ereignisfülle des Films zu überfordern, achtet Bille August am Ende zu sehr auf Kontinuität. Es gibt kaum Schrecksekunden, kein atemloses Innehalten, wie es etwa aus Schlöndorffs „Blechtrommel“-Verfilmung erinnerlich ist – die fetten, sich windenden Aale im Kopf des toten Pferdes.

Überhaupt fällt auf, daß August den Roman Isabel Allendes gerade um die drastischen Momente kürzt: Rosa hat kein grünes Haar in seinem Film, und auch ihr Riesenhund und sein durchdringendes Gejaule bei ihrem Begräbnis fehlen. Allerdings ist August zu danken, daß sein Film sich an der Folterszene nicht labt. Es wäre ganz falsch, den „Schock“, der diesem Film abgeht, mit der Gewaltdarstellung zu verwechseln, auf die so viele Hollywood-Filme der letzten Jahre ihren Riesenerfolg bauen. Sie dient nur der Verdrängung von Schmerz, Angst und Tod. Nur ist auch die Folterszene bei August nicht wirksam. Was fehlt, ist dabei nicht die Gewalt – er hätte sogar auf den im Vergleich zum neueren amerikanischen Kino harmlosen Schlag des Folterers verzichten können. Was fehlt, ist der Blick aufs charakteristische Detail, eine kleine Sekunde Stille, die den Rhythmus des Films ein bißchen durchbricht, ein Seitenblick auf die Foltergeräte, eine Beamtenhand, die sie bereitstellt – das hätte schon gereicht. Das Zeigen der Instrumente macht mehr Angst als das ihrer Anwendung.

Völlig versagt die Musik des Shooting-Stars unter den Hollywood-Komponisten, Hans Zimmer. Sie ist geschlagen von jener „Unfähigkeit zu schweigen“, die Georg Seeßlen in seinem Essay über neuere amerikanische Filmmusik beklagte (epd Film, 6/93), sie schmachtet bei rührenden Stellen und jauchzt bei dramatischen. Also ist sie bloß tautologisch – überflüssig. Zimmers Streicher- und Bläserfiguren, die vermutlich elektronisch synthetisiert wurden, sind so unspezifisch, daß nie richtig auszumachen ist, wann sie ein- und aussetzen. Die Musik ist immer da, aber nie von Interesse. Den so schon zu glatten Erzählstrom nivelliert sie noch. Ihr vermeintlich bescheidener Rückzug auf die bloß dienende, bindende, atmosphärische Funktion von Filmmusik macht sie gerade so aufdringlich. Sie hätte doch auch Akzente setzen und dem Film eine weitere Dimension hinzufügen können. Große Filmepen wie „Doktor Schiwago“ oder „Der Pate“ bezogen ihr Gepränge immer auch aus emblematischen Melodien, die in kleiner Besetzung das Geschehen kommentierten und in großer selbst den grandiosesten Sonnenaufgang überwölbten. Daß „Das Geisterhaus“ gegen Ende ermüdet – versuppt eben – und konventionell wirkt, ist zu einem nicht geringen Teil Schuld der Musik.

Trotzdem, der Film hat was für sich: die Schauspieler, ein paar Szenen mit Meryl Streep und Glenn Close und Winona Ryder. In gewisser Hinsicht ist „Das Geisterhaus“ angenehm altmodisch. Bernd Eichinger hat 25 Millionen riskiert, um Hollywood auf einem Feld Konkurrenz zu machen, das es selbst kaum mehr beackern mag, dem des großen, auf Individuen und Geschichte konzentrierten Melodrams. Thierry Chervel

„Das Geisterhaus“, Regie: Bille August, Produktion: Bernd Eichinger, Kamera: Jörgen Persson. Mit Jeremy Irons, Meryl Streep, Glenn Close, Winona Ryder, Antonio Banderas, Vanessa Redgrave, Armin Mueller-Stahl. Deutschland u. a. 1993, ca. 150 Min.

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