Alleinerziehende: Dann lieber solo
Vom vertrackten Problem, Kind, Küche und Karriere ganz alleine unter einen Hut kriegen zu müssen – und warum es angenehmer ist, als unglücklich verheiratet zu sein.
Berlin taz | "Ich fühle mich grundsätzlich nicht in der Opferrolle, für mich ist das jetzt so die günstigste Situation." Anja ist 32, zusammen mit fünf StudentInnen wohnt sie in einer Leipziger Altbauwohnung. Und dann ist da noch der dreijährige Neo, mit dem sie sich ihr Zimmer teilt. Anja ist alleinerziehend. "Und für mich war es nie ein Thema, mit einem Mann nur wegen des Kindes zusammenzubleiben."
Wer Kinder bekommt, träumt von heiler Familie. Eltern sind nicht "lieber allein". Erst recht nicht die, die von Partnerin oder Partner im Stich gelassen werden. Oder die, die das Alleinerziehen in finanzielle Not stürzt. Aber es gibt Eltern, die lieber allein als länger in einer unglücklichen Beziehung sind. "Eine wachsende Gruppe", vermutet Familienpsychologin Ruth Limmer. Sie ist Professorin an der Georg-Simon-Ohm-Hochschule Nürnberg und forscht seit Jahren zur Lebenssituation von Trennungsfamilien.
Schon 1998 stellte Limmer in einer Befragung fest, dass sich ein Drittel aller Alleinerziehenden getrennt hat, weil sie es für die bessere Lösung hielten. "Da wird ein hohes Maß an Selbstbewusstsein und Gelassenheit deutlich: Ich schaffe das auch allein, ich brauche mich weder zu schämen, noch bin ich überfordert." Dieses Selbstverständnis habe sich in den letzten fünfzig Jahren drastisch verändert, behauptet Limmer.
Anja und Neo
Vor einem Jahr haben sich Anja und ihr Mann getrennt, die Scheidung steht kurz bevor. "Eine Trennung ist schlimm, aber Streiten ist auch schlimm. Es gibt also nur die Wahl zwischen A und B, die beide nicht ideal sind." Neos Vater arbeitet auf Montage, seinen Sohn sieht er nur unregelmäßig. "Im Prinzip habe ich vorher das meiste auch allein gemacht, deshalb wusste ich, ich schaffe das", sagt Anja.
Die Trauer um die Familie gehört trotzdem dazu, auch noch ein Jahr nach der Trennung und vor allem seit Neos Vater eine neue Freundin hat. Anja und er kommunizieren fast nur per E-Mail. "Es gab eine Zeit, da dachte ich, ich ertrinke in der Trauer." Auch an ihrem Sohn ist die Trennung nicht spurlos vorbeigegangen. "Am Anfang hatte er große Verlustängste. In der Zeit habe ich viel mit ihm geredet, auch geweint. Und mir psychologische Unterstützung gesucht."
Gegen ein allzu symbiotisches Verhältnis zu ihrem Kind, in dem kein neuer Partner mehr Platz hat, hilft ihr "eine heilsame Affäre ab und an". Gegen die Einsamkeit hilft die WG. "Sonst würde ich in einer Anderthalbzimmerwohnung hocken, könnte abends nie raus."
Gerade hat sie ein zweites Studium begonnen, einen Teil davon wird sie mit Neo in Russland leben. Veränderungen sind gut, sagt Anja: "Mein Kind muss mit - ich glaube nicht, dass wir es unseren Kindern schuldig sind, das ideale Leben für sie zu führen. Was wir ihnen schuldig sind, ist Verständnis und die Aufmerksamkeit, ihnen die schwierigen Situationen zu erklären, in die wir sie hineinbringen."
Kinder aus Trennungsfamilien sind verhaltensauffälliger. Solches ergäben zumindest immer wieder die entsprechenden Studien, sagt Ruth Limmer.
Dabei komme es aber eher darauf an, mit wem verglichen wird: "Kinder in konflikthaften Familien zeigen zum Beispiel deutlich mehr Auffälligkeiten als Trennungskinder", sagt die Familienforscherin. Damit ein Kind unbeschadet aus einer Trennung geht, braucht es ihrer Ansicht nach vor allem eines: das Gefühl, dass sich seine Situation durch die Trennung nicht verschlechtert hat. "Das gelingt aber nur dann, wenn auch die Eltern die Trennung so wahrnehmen", ist sich Limmer sicher.
Henrik und Ole
"Nur ein bisschen Vater, das könnte ich nicht", sagt Henrik, Vater des dreijährigen Ole. Vor zwei Jahren hat sich der 28-jährige Student getrennt, schon vor der Schwangerschaft hatte es gekriselt. "Der Traum von der heilen Familie war da, aber ich hatte keine Lust, das auf Teufel komm raus durchzuboxen", sagt Henrik. Nicht den Mut zu haben, sich zu trennen, das kannte er von seinen Eltern. "Heute hassen sie sich, so wollte ich nicht enden." Als sich Henrik neu verliebt, zieht er aus. Und das bevor der schlimme Streit, die schwerwiegenden Verletzungen kamen.
Von Anfang an ist klar, dass die beiden den gemeinsamen Sohn auch zu gleichen Teilen erziehen. Das funktioniert nach Absprache, ohne feste Regeln: "Wir wollen beide, dass auch der andere seine Sachen machen kann." Zur Zeit ist Oles Mutter in China, bei ihrem neuen Freund. Henrik ist alleinerziehend, sechs Wochen lang. "Das ist schon anders", sagt er. Sonst hat er Zeit, in der die Erziehung in den Hintergrund tritt, in der er "sein Ding" machen kann. "Das ist der große Vorteil beim gemeinsamen Erziehen", sagt Henrik.
Auch wenn sie in den Statistiken nicht auftauchen: Immer mehr getrennt lebende Partner übernehmen in gleichem Maß Erziehungsverantwortung. Auf etwa zehn Prozent schätzt Ruth Limmer den Anteil dieser getrennt lebenden, aber gemeinsam erziehenden Eltern. "Das ist ein extrem voraussetzungsreiches Familienmodell, das nur gelingt, wenn die Trennungskonflikte überwunden sind." Irgendwann aber komme fast immer ein neuer Partner, sagt Limmer. "Stichwort Patchworkfamilie."
Moritz und Charlotte
Ein Leben fernab von Familienklischees - Moritz kann sich noch gut daran erinnern: "Spannend war das". Moritz ist zwölf und wird seine Mutter bald überragen. Inzwischen gehören für ihn zur Familie: "Mama, Mamas neuer Mann. Papa auch, aber ich sehe ihn nicht so oft."
Sieben Jahre lang war Moritz' Mutter Charlotte, 35, alleinerziehend. "Ich würde es mir nicht noch einmal so wünschen", sagt sie heute. "Aber andererseits habe ich das Gefühl, es ist alles total gut gegangen und keiner von uns hat wirklich Schaden genommen." In einer süddeutschen Kleinstadt ist Charlotte aufgewachsen, mit den Geschichten von Astrid Lindgren im Bücherregal und der heilen Familie zu Hause. Ihre eigene Familie zerbrach schon ein halbes Jahr nach Moritz' Geburt. Damals war sie gerade 22 und mitten im Lehramtsstudium. "Ich fand es schrecklich, plötzlich mit einem so kleinen Kind allein zu sein und das alles wuppen zu müssen. Aber ich war auch so voller Neugier aufs Leben."
Sie zieht mit Freunden in eine WG, später in ein Wohnprojekt. An ihrer Bremer Universität beteiligt sie sich an einem Kinderladen. Für Charlotte ist es die Zeit des Ausprobierens, der Selbsterfindung. Bei Workshops und Seminaren ist Moritz meist dabei. "Ich hatte dieses Ideal, dass man Kinder nicht zwanghaft wegbetreuen muss." Das Gefühl, als alleinerziehende Mutter vieles nicht machen zu können, gab es selten. "Manchmal glaube ich, das ging sogar besser, weil ich nicht im sicheren Schoß einer heilen Familie war." Eine gute Erfahrung sei es gewesen, auf eigenen Füßen zu stehen. "Aber auch unglaublich anstrengend."
Vom Ideal der Kleinfamilie hatte sich Charlotte verabschiedet. "Ich dachte, das ist ein überholtes Modell, das gibt's nicht mehr." Doch vor einigen Jahren kam ein neuer Mann, für Moritz fast ein Papa und seit kurzem auch ein zweites Kind. Gemeinsam wohnen sie in der Nähe von Hamburg. "Schon verrückt, dass ich nach zwölf Jahren wieder bei dem Modell ankomme, das ich als Kind immer wollte", sagt Charlotte. "So wie es jetzt ist", findet Moritz, "ist es echt okay."
Befürchtungen, die Familie habe ausgedient, sieht Ruth Limmer gelassen - trotz der seit Jahren steigenden Anzahl an Trennungseltern. "Ich glaube, dass sich das auch wieder einpegeln wird", sagt die Familienforscherin. In den siebziger und achtziger Jahren habe man ziemlich genau gewusst, wie man nicht leben wolle: in den klassischen Ehe mit klaren Rollenverteilungen. Aber es fehlten und fehlen die Gegenentwürfe, wie man auch als Eltern gleichberechtigt leben und Konflikte bewältigen kann.
"Da muss man etwas Geduld haben", sagt Ruth Limmer. Bis sich neue Modelle etablierten und die Veränderung bei den Kindern ankomme. "Das tradierte Familienmodell hat schließlich Jahrhunderte dafür Zeit gehabt."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen