Unzulässige Vergleiche (1): Alle wollen Vincent, Schoko und Akte
Die Kulturreisenden
Stellen Sie sich vor, Sie sind kein Bremer. Auch keine BremerIn. Sondern, sagen wir Hesse/in. Sie wollen zur Gruppe der Kulturreisenden gehören und haben sich dafür den Nordwesten ausgesucht. Also: Schauen Sie sich die Van Gogh-Ausstellung der Bremer Kunsthalle an, die Schokoladenschau im Übersee-Museum oder zieht es Sie zum „Akt in der Kunst des 20. Jahrhunderts“ nach Emden?
Richtig. Sie widerstehen den Verlockungen des Süßen und der Nackten: Für Van Goghs Felder lassen Sie alles andere rechts und links liegen – zumindest, wenn Sie zur Mehrheit gehören, zu den 15.000, die derzeit Woche für Woche die Kunsthalle besuchen – um sich bis Ende Januar zur Menge der 220.000 Van Gogh-Fans zu formieren, die die in sie gesetzten Erwartungen um 70.000 übertrifft.
Übrigens kommen Sie nur zu drei Vierteln aus Hessen, ihr linkes Bein ist sozusagen Bremer.
Vor drei Jahren, da sah die Sache noch anders aus. Da ließ Ihr Besuch die Erfogsbilanz des Überseemuseums die der Kunsthalle noch übertreffen. Man könnte parabelhaft formulieren, 190.000 Piraten segelten an den Blauen Reitern vorbei, die mit 176.000 allerdings nur wenige Pferdelängen zurücklagen. Um die Unzulässigkeit dieser Milchredakteursrechnungen mal deutlich zu machen: Sie hatten allerdings auch doppelt so lange Zeit, Pirat zu spielen. In der Schokoladenausstellung, um Ihnen auch das zu sagen, sind Sie zur Hälfte Schulkind und haben pro Woche 9.999 Mitbesucher.
Nun aber zu den Emder Akten. Mit den 2.800 Neugierigen pro Woche gehören Sie hier zwar zur Minderheit unseres aktuellen Nordwest-Top-Three-Ranking, aber immerhin: im kleinen Emden – wer hätte das gedacht. Auch die Nachrichtenagentur dpa vermeldet als Erkenntnisgewinn aus dem Ostfriesischen: „Nacktheit erweist sich als attraktiv.“ Wenn das keine Entscheidungshilfe für künftige Kultururlaube ist. taz
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