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Alle reden von schlechten Zeiten...

...doch keiner in Japan scheint sie zu spüren/ Regierung verspricht Aufschwung/ Erholung für Börse  ■ Aus Tokio Georg Blume

Endlich gehorchte die Börse der Regierung. Tagelang hatten Tokios Broker zusehen müssen, wie Zinssenkungen der Zentralbank und Wachstumsversprechen des Premierministers den Nikkei-Index immer tiefer in den Keller stürzten. Zum Wochenende erreichte die Talfahrt der Kabutocho ihr vorläufiges Ende. Mit Tagesgewinnen von 459,65 (Donnerstag) und 354,68 (Freitag) Punkten schwang sich der Börsen-Index auf 15.910,28 Punkte. Ausschlaggebend für die Erholung war die erste wirklich konkrete Maßnahme der Regierung: Sie zog das für den September geplante Konjunkturprogramm auf den August vor.

Doch wie schlecht ist es wirklich um die japanische Wirtschaft bestellt? In ihrem jüngsten Konjunktur- Weißbuch gibt sich die Regierung optimistisch. „Es ist schwer zu sagen, daß sich Japan derzeit in einer Rezession befindet“, faßte einer der Autoren vom Planungsministerium zusammen, „denn die wirtschaftliche Betätigung steht im Vergleich zu anderen Nationen auf hohem Niveau.“ Dem läßt sich kaum widersprechen. Selbst nach strengem angelsächsischem Reglement kann von einer japanischen Rezession nicht die Rede sein, denn dazu müßte das Bruttosozialprodukt wenigstens in zwei aufeinanderfolgenden Quartalen sinken. Im letzten Quartal 1991 sank das BIP zwar erstmals seit Jahren wieder, doch schon im ersten Vierteljahr 1992 legte Japan wider allen Erwartungen muntere 1,1 Prozent Wachstum zu — aufs Jahr gerechnet wären das 4,5 Prozent.

Erwartungsgemäß prophezeit das Weißbuch einen Wirtschaftsaufschwung ab Oktober. Sowohl die Unternehmensinvestitionen als auch die Verbrauchernachfrage soll wieder steigen. Nicht der Export, sondern die Binnennachfrage werde Nippons Wirtschaft wieder in Schwung bringen. An der gegenwärtigen Finanzkrise kann der Bericht nur Gutes finden: Mittelfristig werde der Rückgang der inflationären Boden- und Aktienpreise die Banken und Broker zwingen, ein gesünderes Finanzsystem zu errichten. Man befinde sich eben in einer „Anpassungsphase“ — soweit die Regierung. Wer einmal die Ministerien verläßt, merkt schnell, daß auf Tokios Straßen ein härterer Wind weht. Überall sind Klagen zu vernehmen, zumindest solange es die große Finanzgemeinde im Herzen der Hauptstadt betrifft. „Unsere Finanzinstitutionen“, meint der Wirtschaftsprofessor Iwata Kazumasa, „haben einfach zu viele überhängende Kredite aus der Spekulationsphase, die sie nie mehr zurückbekommen werden.“ Gemeint sind jene Kredite, die Japans Banken vor allem an Grundstücksspekulanten während der 80er Jahre leichtfertig vergaben. Die Schätzungen über den Umfang der maroden Bürgschaften gehen weit auseinander: Zwischen 70 und 700 Milliarden Mark könnte die Schadenssumme ausmachen.

Ob Japans Finanzsystem das verkraften kann, darüber gehen die Meinungen auseinander. Aber an eine ernsthafte Katastrophe, bei der beispielsweise mehrere der großen Banken ihre Kassen schließen müssen, glaubt im Ernst niemand. Schon helfen die großen Banken sich untereinander, um kleinere Kreditinstitute, die in Konkurs gehen, aufzufangen. Und im Hintergrund steht noch Vater Staat, der seit 1987 jedes Jahr ein Haushaltsplus verzeichnet und dessen Möglichkeiten, dem Finanzsystem unter die Arme zu greifen, längst nicht erschöpft sind. „Wahr ist“, schreibt die Wirtschaftszeitung Nihon Keizai, „daß Japan verwirrt ist.“ Der vermutliche Grund: Alle reden von schlechten Zeiten, aber keiner spürt's am eigenen Leib.

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