Alkoholrekord in Berlin: Kunst auf Bier, das rat ich dir
Wieder Weltspitze: Ein Berliner Brauer hat einen Alkoholrekord in Bier aufgestellt. Dabei wollen die Trinker immer schwächeres Bier.
Das Westkreuzberger Monatsmagazin Kiez und Kneipe - Lokalblatt und Wirtschaftszeitung Von Nachbarn zu Nachbarn vermeldete in seiner Februar-Ausgabe ein "Top-Ereignis" (zitty) aus der Technischen Universität Berlin, das leider von einem "Skandal" (Tagespiegel) in der Freien Universität überschattet wurde. Dort hatte man einen allzu nüchternen US-Wissenschaftler mit migrantischem Hintergrund in der Berufungsverhandlung brüskiert - und damit abgewiesen.
Hier - an der TU - übergab das biologische Institut am 20. Februar Thorsten Schoppe einen Umschlag - mit einem Gutachten, das es in sich hatte: "Die Hände zitterten schon ein wenig, als er ihn öffnete," berichtete die Kiez und Kneipe (KuK) unter der Überschrift "Weltrekord am Südstern". Bei Schoppe handelt es sich um einen Braumeister, der im Brauhaus Südstern zusammen mit seinem Azubi Barryl Kunze ein Starkbier gebraut hatte. Und dieses - so bescheinigte ihm das renommierte Biologische Institut der TU - bestand zu "27,6 Prozent aus Alkohol". Nachdem Schoppe das Ergebnis der Öffentlichkeit vorgestellt hatte, brach laut KuK "Jubel im Brauhaus Südstern" aus. Das Ergebnis von "zwei Monaten harter Arbeit" wird gefeiert: "das stärkste Bier der Welt". Mit 27,6 Prozent übertrifft Braumeister Schoppe den "absoluten Weltrekord einer US-amerikanischen Brauerei" - um volle 1,6 Prozent.
Wie hat er das bloß geschafft? Schoppe nahm 50 Liter eines "Tripelbocks" auf satter Malzgrundlage und entzog dann dem Gebräu durch mehrmaliges Einfrieren immer mehr Wasser - bis er nur noch 3 Liter übrig hatte. Das Verfahren ist vor allem in Sibirien bekannt, wo man einen Eimer mit vergorenen Früchten nachts auf den Balkon stellt - und den nichtvereisten Rest (Alkohol) am nächsten Morgen abschöpft. "Die Zeugen des gelungenen Rekords [von Schoppe] durften dann natürlich auch probieren," schreibt die KuK auf Seite 2 und meldet dort auch sogleich, wie sie es fanden: "Weltstärkstes Bier schmeckt wie Likör."
Das kann auch daran liegen, dass Schoppe & Kunze es ihnen in Likörgläsern ausschenkten. Sonst wäre von den 3 Litern nicht viel übrig geblieben. Und der Chef des Brauhauses Südstern, Helmut Kurschat, hat noch was damit vor: Er will es, wie er der Presse mitteilte, in kleinen Flaschen abgefüllt im Internet versteigern - "für einen guten Zweck". Das wärs dann aber auch. Selbst Braumeister Schoppe glaubt nicht, dass man das Weltrekord-Bier in Mengen herstellen wird: Ein halber Liter würde nämlich "bei einer normalen gastronomischen Kalkulation etwa 150 Euro kosten," erklärte er.
Sehr viel preisgünstiger ist da das Starkbier des Weddinger Braumeisters Martin Eschenbrenner, das dieser in kleinen Fässern anbietet. Ich kostete zuletzt ein Übermaß davon auf dem Straßenfest des Akustikers Hettwer, das vor und in seinem Hörgeräte-Fachgeschäft in der Stettiner Straße stattfand. Eine weitere Braumeisterleistung erzählt der Charlottenburger Künstler Thomas Kapielski immer wieder gerne - etwa an seinem Stammtisch im "Hoeck" (Wilmersdorferstraße 149): Es handelte sich dabei um eine Berliner Weiße, die ein Freund von ihm in Moabit gebraut hatte - anlässlich seiner Meisterprüfung als Brauer. Bevor sie verkostet und geprüft werden konnte, wurde das Gebräu einige Wochen lang auf dem Hof der Brauerei in feinem Kies eingelagert. Kapielski war noch Jahre später voll des Lobes über dieses Braukunstwerk seines Freundes.
Überhaupt sollte man einmal die enge Verbindung zwischen der bildenden Kunst und der Bierbrauerei in der Stadt - mindestens seit dem "Berliner Unwillen" (1448) - nachzeichnen. Das Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität in Mitte will sich demnächst schon mal, nach seinem Projekt über die Geschichte des Zigarettenrauchens, dem seltsamen Phänomen "Kultur-Brauerei" widmen, die hier seit der Hauptstadtwerdung wie Pilze aus dem Boden schießen - allein im Prenzlauer Berg gibt es mittlerweile drei. Parallel zu diesen "Fusions", die einer Deindustrialisierung gleichkommen, entstehen immer mehr an Kneipen angeschlossene "Hausbrauereien". Eine, in Charlottenburg, bietet neuerdings "Braukurse" an. In einer anderen, in Neukölln, tagt regelmäßig eine "AG Braugeschichte".
Dort diskutiert man Josef Reichholfs Münchner These, dass die Frühmenschen ihr Getreide erst zu Bier verarbeiteten und danach zu Brot, sowie auch die Trendforschung des Bierprofessors an der TU, Frank Methner: Sie ergab, dass die Berliner Trinker immer alkoholärmeres Bier verlangen. Ob dies ein Trend zu mehr Realität ist, lässt er allerdings offen. HELMUT HÖGE
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