Alkoholismus und Fußball: Schnäpse für den Treter
In einer Lebensbeichte berichtet der ehemalige Bundesliga-Profi Uli Borowka von den Zwängen seiner Sucht. Es entstand ein Medienhype.
Der Name Borowka ist einer unter vielen. Suchend gleiten die Augen die Klingelschilder ab, bis sie auf das des sechsfachen Fußballnationalspielers treffen. Ulrich Borowka wohnt ebenerdig mit Frau und Kind in einem passablen Mehrfamilienhaus im Osten Berlins. Europapokalsieger, zweimal Deutscher Meister und Pokalsieger ist er mit Werder Bremen während seiner Profikarriere geworden. Und Alkoholiker.
Im Jahre 2000 versuchte er sich das Leben zu nehmen, kurz darauf absolvierte er erfolgreich eine Entziehungskur. Seitdem ist er trocken. Borowka war ganz oben und ganz unten, nun scheint er in der Mitte der Gesellschaft angekommen zu sein. Mit Blick auf die letzten Jahre wähnt er sich eher im Abseits: „Mit mir können viele nichts anfangen. Ich werde ausgegrenzt. Ich muss immer wieder erklären, warum ich keinen Alkohol trinke.“
Der frühere Verteidiger geht offensiv mit seiner Vergangenheit um. An dem schönen Spätsommertag bietet sich sein kleines Gärtchen hinterm Haus als Gesprächsort an. Die mögliche Mithörerschaft von oben stört den 50-Jährigen nicht. Er strotzt geradezu vor Vitalität und guter Laune. Es hat sich einiges getan. „Da ist eine wahnsinnige Vorfreude“, erklärt er. Gut zehn Tage ist das nun her.
Der Medienhype
Inzwischen ist all das passiert, was Borowka kaum erwarten konnte. Die Bild, die auflagenstärkste Zeitung des Landes, hat Auszüge aus seinem Buch „Volle Pulle. Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker“ vorabgedruckt. Er war bei Reinhold Beckmann und anderen Talksendungen zu Gast. Seit heute ist sein Buch im freien Handel. Borowka sagt: „Vielleicht können wir eine Diskussion anschieben.“
Die Sorge, dass ihn der Medienhype überfordern könnte, hat Borowka nicht: „Das ist ja eine Sache, die ich jetzt steuern kann.“ Zu schaffen gemacht habe ihm hingegen die Arbeit an dem Buch, die er „eine Abrechnung mit mir selbst“ nennt. Fast ein Jahr lang habe er in beinahe wöchentlichen Sitzungen dem Journalisten Alex Raack sein Leben erzählt. Wie er sich in Gladbach als Bundesligaprofi etablierte, indem er sich das Image des eisenharten Verteidigers zulegte, und früh dem auch selbst erzeugten Druck nur standhalten konnte, weil er beim Training schon an die Biere dachte, die er sich danach hinter die Binde kippen würde.
Wie er bei Werder Bremen immer exzessiver trank, die Kontrolle über sich verlor, einmal den Kopf seiner Frau an die Wand schlug und später ein weiteres Mal vor der Wohnung seiner Exfrau und der beiden gemeinsamen Kinder Krawall machte.
Borowka sagt im Rückblick auf die Gesprächsstunden für das Buch: „Das war immer ein Auf und ein Ab. Als ich das fertige Manuskript gelesen habe, bin ich zwei Wochen in mich zusammengesackt.“ Aufschreiben lassen hat er seine Geschichte aber, weil ihn die Reaktionen überwältigten, die er vor gut einem Jahr nach einem Interview mit Raack für das Magazin 11 Freunde erhielt. Viele Leser bedankten sich für seine offenen Worte. Manch einer outete sich selbst als Alkoholiker und sah sich ermutigt, selbst eine Therapie anzufangen.
In den letzten Monaten erst, berichtet Borowka, hätten sich bei ihm noch aktive Fußballprofis und andere Leistungssportler wegen ihrer Alkoholprobleme gemeldet. „Ich bin doch der Einzige, den sie anrufen können“, glaubt Borowka. Wo könnten sie denn anrufen? Beim Verein vielleicht? Beim DFB? „Mein lieber Herr Gesangsverein“, stöhnt Borowka auf.
Mit seinen Bemühungen, etwas in Gang zu setzen, sei er beim Deutschen Fußball-Bund auf verschlossene Türen gestoßen. Jetzt will er gemeinsam mit Freunden eine Anlaufstelle für alkoholabhängige Profis und Jugendliche schaffen.
Die Berührungsängste beim Thema Alkoholismus sind generell groß. Bei jeder B-Jugend-Meisterschaft würde der Präsident doch ein paar Kästen Bier rausrücken, sagt Borowka. Sein Buch dokumentiert eindrucksvoll, dass auch im Hochleistungsbereich mächtig gebechert wurde – und wie die Anrufe bei Borowka bezeugen, trinken Profis immer noch gerne.
Aus seinen Gladbacher Zeiten beschreibt Borowka, wie die Profis von Real Madrid im Bernabeu-Stadion zu Abschreckungszwecken die Gästespieler vor der Partie anbrüllten und ihre Rotwein-Fahnen dabei zu riechen waren. Wie das Team der Borussia im Trainingslager eine Nacht durchzechte und am Folgetag hochalkoholisiert ein vorgezogenes Freundschaftsspiel bestreiten musste.
Und er berichtet vom traditionellen Begrüßungsakt bei Werder Bremen, das er mit Karl-Heinz Riedle durchstehen musste. Thomas Schaaf machte mit einem Schnapstablett den Anfang. Die anderen aus dem Kader folgten. „Sagenhafte 25 Schnäpse mussten wir kippen, bis das erste Ritual überstanden war.“
Die Anekdoten
Die kollektiven Besäufnisse haben im Buch eher beiläufigen Charakter. Auch die persönliche Krankengeschichte von Borowka nimmt – anders als es der Titel vermuten lässt – nicht so einen großen Raum ein. Wie jede Fußballerbiografie lebt auch Borowkas Erzählstoff von legendären Spielen, Spielzeiten und Spielern. „Kumpel“ Lothar Matthäus und Maradona werden eigene Kapitel gewidmet.
Anekdoten wie die von der röhrenden, schlafraubenden Müslimaschine von Ewald Lienen werden zum Besten gegeben. Die Krankheit nistet sich unterdessen unterschwellig ein. Auch im Buch. Genau das verleiht dem Werk aber eine große Authentizität.
Alkoholkrank wird man nicht von einem auf den anderen Tag. Auch bei Borowka begünstigt sein Umfeld den schleichenden Prozess des Abhängigwerdens, weil die Scheu vor der Konfrontation mit der Wahrheit zu groß ist. Nur der inzwischen verstorbene Werder-Präsident und Arzt Franz Böhmert habe einmal einen Versuch unternommen, ihm seine Lage bewusst zu machen, erzählt Borowka.
Nach außen hin funktionierte er ja. Fast bis zum Ende seiner Karriere konnte er, der mit Stolz seinen Spitznamen „die Axt“ trug, die Fassade, „der Härteste und Brutalste“ zu sein, aufrechterhalten.
Erst in der Entziehungskur lernt er mühselig, Gefühle zu zeigen. Er muss Tagebuch führen. Die Einträge aus der Klinik sind in seine Biografie eingewoben. Der „Eisenfuß“ muss auch töpfern. So formt er den DFB-Pokal nach. Borowka offenbart viel über sich. Mit seiner direkten, bisweilen derben Sprache, die Alex Raack dankenswerterweise unverfälscht wiedergegeben hat, macht er deutlich, welch weiten Weg er zurücklegen musste.
„In England“, schwärmt Borowka, „geht man ganz anders mit solchen Lebensschicksalen um.“ Als der frühere englische Nationalspieler Tony Adams, den er sein Pendant auf der Insel nennt, nach einer Entziehungskur aufs Spielfeld zurückgekehrt sei, wären 50.000 Menschen aufgestanden. Über zehn Minuten hätte es Standing Ovations gegeben.
Eine große Sehnsucht nach Anerkennung klingt da durch, wobei Borowka das bestreitet. Sein Lebensbericht wirft allemal spannende Fragen zum scheinheiligen und unbeholfenen Umgang mit Alkohol im Fußballgeschäft auf. Mit süffisantem Lächeln erinnert er an die vom Deutschen Fußball-Bund unterstützte Kampagne „Keine Macht den Drogen“. Im Sponsorenpool zählt indes eine Brauerei zu den Hauptstützen des DFB.
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