„Alice im Wunderland“ im Theater Bremen: Alice sehr verwirrend
Zerrissene, fragwürdige, uneindeutige und genderfluide Figuren: Bremens Junge Akteur:innen zeigen Roland Schimmelpfennigs „Alice im Wunderland“.
![Drei Jugendliche auf einer Bühne, die aussieht wie ein Himmel Drei Jugendliche auf einer Bühne, die aussieht wie ein Himmel](https://taz.de/picture/6874509/14/Alice-11-Hannah-Willker-Karlotta-Lange-Tomte-Steinhauer-Foto-Manja-Herrmann-1.jpeg)
Alice ist zweifellos Alice, aber eben auch bei jedem Blick wieder eine ganz andere. Während Imke Paulicks Bühne das Publikum in der kleinen Moks-Spielstätte des Bremer Theaters haltlos in ein schäfchenbewölktes, hell ausgeleuchtetes Himmelblau stürzt, verwandelt oder besser vervierfacht sich die Titelfigur. Regisseurin Nathalie Forstman traut ihren Darstellerinnen zu, dass sie in wirklich kurzen totalen Blacks geräuschlose Auf- und Abgänge hinkriegen.
Tun sie, souverän: Also beginnt „Alice im Wunderland“ mit einer Sequenz zum Staunen, mit klassischer Theatermagie – und zugleich mit einer inhaltlichen Setzung. Denn signalisiert wird so, dass hier niemand die Hauptrolle spielt. Die Figuren sind nicht nur genderfluide. Sie sind in sich zerrissen, fragwürdig, uneindeutig. Ihr Zweifel ist ihre Substanz.
Oder aber sie neigen, wie die aus Carolls zweitem Alice-Roman importierten Zwillinge Dideldum und Dideldie zur wechselseitigen Multiplikation: Die albernen Dickerchen sind hier wirklich mit zwei glorreichen Nachwuchskomödianten besetzt, deren Auftritt ein komischer Höhepunkt des Spiels wird, während die anderen Figuren eher ins Monströse tendieren: herrlich penetrantes Quietschen, lustvolles Teebecherwegtreten, gruselige Krallenhände, Launen, die alles beherrschen.
Das ist eigentlich der Kern aller Coming-of-Age-Geschichten. Und um den darzustellen, eignet sich Roland Schimmelpfennigs Bühnenfassung bestens, die keinerlei Interesse an den Logikrätseln der Vorlage und ihren Sprachspielen, ja an Sprache überhaupt hat.
Schauspiel „Alice im Wunderland“, Theater Bremen, Moks, wieder am 9., 10. sowie 12. bis 14. 3., jeweils 19 Uhr
Mit schöner Respektlosigkeit haben sich die Jungen Akteur:innen, also der Jugendclub des Bremer Theaters, am Libretto des Erfolgsdramatikers bedient, um daraus für ihre Zwecke geeignete Szenen zu destillieren (Dramaturgie Marianne Seidler): Manchmal stören noch Fragmente einer linearen Handlung deren knallbunten Reigen: Weil sie so etwas wie Sinnerwartung triggern, stören sie ein bisschen die Verwirrung.
Dabei geht es um die. Denn die Produktion muss schließlich auch gegen 150 Jahre „Alice“-Bilder an, die in den Köpfen gespeichert sind: Sehr erfolgreich gelingt ihr, Versatzstücke aus Carolls Kosmos als Signale in den die gesamte Bühne umfassenden Himmel zu schreiben, und seinen Figuren mit Witz und Energie dennoch ihre Formlosigkeit zurückzuerobern, ihre Möglichkeit, zu sein; ihre Möglichkeit im nächsten Augenblick ganz anders zu sein.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!