Ali Çelikkan All Pain, No Gain: Der sehr lange Weg zum Urlaub im Krankenhaus
Manche Leute haben etwas dagegen, ein paar Nächte in einem Krankenhausbett zu verbringen. Ich habe es immer als eine Art Urlaub empfunden – ein bedauerlicher Urlaub, aber immerhin ein Urlaub. Bald steht mir mal wieder einer bevor, natürlich wegen einer Sportverletzung. Diese Erholungszeit habe ich bitter nötig. Nicht etwa wegen Alltagsstress, sondern weil der Weg zu diesem Krankenhausbett ein steiniger ist, voller Hürden. Dagegen kommt der Aufenthalt selbst Ferien gleich:
Die Liege ist schon reserviert, wenn du aus dem OP-Saal kommst. Niemand erwartet etwas von dir, außer dass du dich ausruhst. Du und deine Zimmergenossen haben nach kurzer Zeit alle Hemmungen verloren, als ihr im Patientenkittel zur Toilette gekrochen seid. Ganz ähnlich wie Hotelgäste, die sich nach drei Tagen am Pool nicht mehr darum scheren, wer sie in Bademantel und Flip Flops am Büfett oder in der Lobby sieht. Ihr seid nett zueinander – außer wenn sich drei Patienten zusammentun, um über den vierten zu lästern, der nachts schnarcht. Sogar von außen ähneln die festungsartigen Krankenhäuser trübseligen Ressorts, moderne Kliniken manchmal sogar Kreuzfahrtschiffen.
Die Operation selbst ist unkompliziert, schnell und dank starker Arzneimittel schmerzlos, der Weg dorthin aber nicht. Nach der Verletzung wartest du einen Tag ab, um sicher zu sein. Ja, da ist definitiv etwas nicht in Ordnung. Du versuchst, einen Termin in einer orthopädischen Klinik zu bekommen. Der nächste freie Termin ist erst in drei Wochen. Also musst du warten und redest dir in der Zwischenzeit ein, dass die Verletzung nicht so schlimm sei.
Dann kommt endlich der Termin. Der Arzt schickt dich ins Nebenzimmer zum Röntgen. Das Röntgen nimmst du nicht ernst, weil jeder Arzt, den du je getroffen hast, dich glauben ließ, es sei nur eine Formalität. Stattdessen willst du ein MRT, weil die Ärzt*innen ohnehin ein MRT wollen. Und das aus gutem Grund. Röntgenbilder helfen meist nicht weiter.
Ein Röntgenbild bedeutet nur, dass du die Schlüssel aus der Tasche nehmen und dir eine Bleischürze auf den Schoß legen musst. Insgeheim glaubst du nicht einmal daran, dass es dich unfruchtbar machen könnte. Vor dem Einstieg in die riesige MRT-Maschine muss man sich ausziehen. Weil die Röhre klaustrophobisch macht, bekommst du einen Panikknopf, der dir versichert, dass du jederzeit abbrechen kannst. Aber du brichst nicht ab, weil du die Maschine zu sehr respektierst. Nicht wegen der Technik – sondern weil es so schwer ist, überhaupt einen Termin für ein MRT zu bekommen.
Erst einmal zum Physio
Du rufst verschiedene Radiologiepraxen an. Keine hat einen Termin frei. So lebst du weiter mit deiner Verletzung. Aber nichts heilt. Und du schonst dich nicht. Schließlich kommt endlich der Termin und du bekommst eine CD mit den MRT-Bildern. Doch dein Arzt braucht drei Wochen, um sich die Ergebnisse anzusehen. Also gehst du zu einem anderen. Man erzählt dir, dass eine Operation möglich wäre – aber dass es besser wäre, es erst einmal mit Physiotherapie zu versuchen. Du akzeptierst dein Schicksal und wartest weitere sechs Wochen auf die Physiositzungen. Einige Tage sind besser als andere. Aber du siehst in ihren Gesichtern, dass es keine wirklichen Fortschritte gibt.
Vier Monate vergehen. Endlich gibt die Physiotherapeutin zu: Es ist Zeit für eine Operation. Nie war eine solche Nachricht willkommener. Doch die Euphorie weicht schnell der Realität: Jetzt geht es darum, eine*n Chirurg*in zu finden. In der Zwischenzeit laufen Überweisungen ab, Termine werden verschoben. Und am Ende sagt ein Chirurg: In manchen Fällen wird die Verletzung schlimmer, wenn man operiert. Also suchst du weiter und findest, wenn du etwas Glück hast, einen anderen, der bereit ist, dich endlich in den Urlaub zu schicken.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen