Albaner in Deutschland: Gekommen, um zu bleiben
Viele Albaner suchen in Deutschland ein gutes Leben. Sie beantragen hier Asyl. Aber das ist sinnlos, weil Albanien als sicher gilt.
Der Bus ist ein ganz normaler Reisebuch. Die Leute darin sind ganz normale Touristen. So sieht es auf den ersten Blick aus. Und so werden sie es sagen, wenn sie gefragt werden. Sie haben Gepäck dabei, Unterwäsche, Jeans, T-Shirts, Zahnbürsten, was man so braucht, wenn man verreist.
Aber der Bus ist kein gewöhnlicher Reisebus und die Leute darin sind keine normale Touristen, die in Deutschland Urlaub machen. Sie wollen hier bleiben, am liebsten für immer. Wenigstens für eine gewisse Zeit. In den Bus, der zu einer Art legalem Schleppernetz gehört, legen sie ihre ganze Hoffnung.
Albanien ist seit vergangenem Sommer offiziell Beitrittskandidat der Europäischen Union. Albaner können in Deutschland kein Asyl beantragen, nicht einmal als Wirtschaftsflüchtlinge werden sie angesehen. Bis auf die Hauptstadt Tirana und Hafenstädte wie Durrës ist das Land stark agrarisch geprägt, es ist eines der ärmsten Länder Europas. Das Bruttoinlandsprodukt beträgt nur etwa ein Drittel des EU-Durchschnitts. Knapp die Hälfte der Erwerbstätigen ist heute in der Landwirtschaft beschäftigt, aber dort wird nur ein Sechstel des Bruttoinlandsprodukts erwirtschaftet. Die Arbeitslosigkeit liegt bei 18 Prozent, davon ist insbesondere die Jugend betroffen.
Täglicher Stromausfall
Das Land versinkt in Korruption, Drogen, Armut, Wohnungsnot. Man hört von Schülern, die ihre Lehrer für bessere Zensuren schmieren. Und von Dozenten und Beamten, die ihren künftigen Chefs Geld geben, um den neuen Job zu bekommen. Albanien gilt als einer der größten Drogenproduzenten der Welt, das Dorf Lazarat, etwa 200 Kilometer von Tirana entfernt in den Bergen, wird als Cannabis-Hauptstadt Europas bezeichnet. Jedes Jahr sollen hier etwa 900 Tonnen Marihuana geerntet werden. Die Drogen bringen etwa 4,5 Milliarden Euro, rund ein Drittel des albanischen Bruttoinlandsprodukts.
Die marode Bausubstanz der Häuser ist vielfach mit reichlich Farbe übertüncht worden – eine Idee des jetzigen Staatspräsidenten und Künstlers Edi Rama. Täglich gibt es Stromausfall, mehr als die Hälfte der Straßen ist nicht asphaltiert, auf Wasser-, Strom- und Telefonanschlüsse wartet man mitunter jahrelang.
Das Busticket, um diesem Leben zu entkommen, kostet rund 21.000 Lek, umgerechnet etwa 150 Euro. Viel Geld, das die Businsassen lange gespart haben. Oder Verwandte, die bereits in Deutschland sind, haben es geschickt. Das Geld ist kein Geschenk, sondern geborgt, die Reisenden müssen es zurückzahlen. Das schafft Abhängigkeiten von Tanten, Onkeln, Cousinen und Cousins. Und es erweitert den Strom albanischer Flüchtlinge immens.
114.125 Frauen, Männer und Kinder haben laut Bundesamt für Migration und Flüchtlinge von Januar bis April 2015 in Deutschland Asyl beantragt. 11.416 von ihnen waren Albaner, fast doppelt so viel wie in diesen Monaten ein Jahr zuvor. Einer von ihnen ist Adrian, 27, Obstverkäufer aus einem Dorf in der Nähe Tiranas.
Warten im Aufnahmelager
Mit einem Holzkarren zog Adrian jeden Tag in die Hauptstadt, mal zusammen mit seiner Mutter, manchmal mit seiner Großmutter. Er stellte den Karren an irgendeiner Straße ab, oft an einer großen Kreuzung. Er nahm das Verdeck vom Wagen ab und pries an, was er hatte: Äpfel, Oliven, Bananen. Viel verkaufte er nicht, auf den Märkten überall ist das Angebot reichhaltig.
„Das soll mein Leben sein?“, sagt Adrian. Er würde gern heiraten, hat aber kein Geld, die Hochzeit zu bezahlen, und schon gar keines, um mit seiner Freundin in einer eigenen Wohnung zu leben. Wie soll es weitergehen? Dann hörte er von den Busreisen und der Idee, die dahintersteckt. Jetzt sitzt Adrian, der von seiner Situation nur unter anderem Namen berichten will, in einem Aufnahmelager irgendwo in Deutschland und wartet darauf, dass sein Asylantrag positiv beschieden wird. Dass die Behörden sagen: Du kannst hierbleiben.
Aber das wird vermutlich nicht passieren. Die Probleme der Balkanlandes taugen nicht als Asylgrund, das Leben in Albanien gilt als sicher. Niemand wird dort verfolgt, weil er gebloggt oder regierungskritische Artikel veröffentlicht hat. Es gibt keinen Krieg und keine Angriffe gegen die Zivilbevölkerung. Homosexualität ist offiziell gelitten, Schwule und Lesben bekommen allenfalls Probleme mit ihren Familien. In Albanien werden Sinti und Roma nicht gejagt und ermordet – wie beispielsweise in Ungarn. Auch wenn sie armselig und in der Regel in Zelten in Camps leben.
Aussichtslose Reise
Wenn er nicht hierbleiben darf, sagt Adrian, dann will er in Deutschland wenigstens eine Zeitlang das leichte Leben, so wie er es sich vorstellt, genießen. Er will mal nach Berlin, in eine Bar, er will Bier trinken, sich gute Lederschuhe kaufen und seiner Freundin ein schönes Kleid. Wie will er das machen? Er bekommt nur ein Taschengeld, im Heim kann er kostenlos schlafen und bekommt etwas zu essen. „Mal sehen“, sagt Adrian.
Die Behörden in Albanien und in Deutschland kennen das Problem. Aber sie sind machtlos. Albanien gehört neben Syrien und dem Kosovo zu den Ländern mit den meisten Asylanträgen in Deutschland. Die deutsche Botschaft in Tirana arbeitet eng mit der albanischen Regierung zusammen, es gibt Zeitungs- und Fernsehinterviews, in denen den Menschen erklärt wird, dass sie in Deutschland keinen Asylstatus bekommen. Dass jede Reise mit einer solchen Absicht aussichtslos ist.
Umsonst. Kürzlich berichteten albanische Medien von Kukes, einer kleinen Stadt im Norden Albaniens. Im Frühjahr haben sich dort mit einem Schlag mehrere hundert Frauen und Männer ein Busticket nach Deutschland gekauft.
Die albanischen Behörden würden die Busunternehmen, die als „legale Schleuser“ arbeiten, gern dingfest machen. Aber wie? Jeder, der will, kann sich eine Fahrkarte kaufen, es herrscht Reisefreiheit in Albanien. Ebenso wenig ist es verboten, sich einen biometrischen Pass ausstellen zu lassen, um legal über die Grenze zu kommen.
Adrian überlegt jetzt, wie er schnell zu Geld kommt. Das will er seiner Freundin schicken – für den Bus von Tirana nach Dortmund.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
#womeninmalefields Social-Media-Trend
„Ne sorry babe mit Pille spür ich nix“
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“