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Alarm im Münchener FlughafenAufregung als Reflex

Es ist nichts passiert - und doch hat ein offenbar falscher Alarm am Münchner Flughafen am Mittwoch die Nachrichten beherrscht. Ein klassischer Fall von "Framing".

Alles sicher? Patrouille im Flughafen München. Bild: dpa

Es gibt keinen Anschlag, keine Bombe, wohl nicht einmal Sprengstoff. Es gibt keinen Terroristen, auch keinen Verdächtigen, wahrscheinlich nicht einmal eine Straftat, verkündet die Polizei ganz ruhig, schon nach wenigen Stunden. "Terroralarm am Flughafen", titelt trotzdem wenig später die Abendzeitung und berichtet einfach mal so von "Terror-Angst". CNN erzählt aufgeregt dem Rest der Welt eine kühne Geschichte von einem Verdächtigen auf der Flucht und der Polizei auf der Jagd. Eilig fordern Grüne und SPD in Pressemitteilungen rasche Aufklärung. Und Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) verkündet im Deutschlandfunk sofort, er persönlich habe veranlasst, "dass sämtliche Umstände dieses Vorgangs im Einzelnen untersucht werden, mit allen Beteiligten." Uff. Was ist denn da los?

Eigentlich nichts, was die halbe westliche Welt in solch helle Aufregung versetzen müsste. Am Mittwoch betritt ein Mann mittleren Alters am Münchner Flughafen, Terminal 2, Ebene 4, gegen 14.40 Uhr die Sicherheitskontrolle. Er hat einen Laptop dabei, den das Sicherheitspersonal durchleuchtet, wie jedes Handgepäckstück. Der Scanner findet Spuren eines Sprengstoffs, löst einen stillen Alarm aus. Nach Polizeiangaben passiert das häufiger. Meist ist es aber falscher Alarm. Eigentlich müssten die Kontrolleure den Computer noch einmal genauer untersuchen. Doch der Fluggast will schnell weiter, Zeugen zufolge ein "eiliger Geschäftsmann".

Bis das Sicherheitspersonal reagiert, hat er schon seinen Laptop genommen und ist in der Menge der wartenden Passagiere verschwunden. Es gibt keinen Tumult, keinen lauten Alarm, keine Verfolgungsjagd. Wahrscheinlich hat der Mann nicht einmal bemerkt, dass es ein Problem gab. Nach zehn langen Minuten informieren die Kontrolleure die Bundespolizei. Die lässt das gesamte Terminal sperren, räumen und durchsuchen. Vergeblich. Bis kurz vor 19 Uhr steht der Betrieb still. Tausende Passagiere müssen stundenlang ausharren. "Mittendrin: Tennislegende Boris Becker", berichtet Bild. Alle Wartenden wirkten eher genervt als verängstigt.

Dass das alles in den Medien viel panischer und gefährlicher klingt, lässt sich mit trockener Wissenschaft recht einfach erklären. "Framing" nennt die Kommunikationswissenschaft das Phänomen, das sich nach dem "Sicherheits-GAU" (tz) von München in Reinkultur beobachten lässt. Die Theorie sagt: Spektakuläre Ereignisse bestimmen, wie Journalisten und ihr Publikum die Realität wahrnehmen und filtern. Bewegt ein Amoklauf die Republik, wird danach auch über kleinere Schießereien schon mal unter dem Etikett "Amoklauf" berichtet. So reicht es für Journalisten seit dem vereitelten Bombenanschlag in Detroit an Weihnachten, eine Meldung mit den Schlagwörtern "Sprengstoff" und "Flughafen" zu lesen, schon ploppt er wieder auf, der Flugzeug-Bomben-Terror-Realitätsfilter.

So praktisch das Phänomen für uns Journalisten ist, um schnell kleine Ereignisse zu packenden Sensationsgeschichten aufzupumpen, so sehr untergräbt es alle Versuche, gelassene gesellschaftliche und politische Debatten über aktuelle Probleme zu führen. Die Politiker sind dank der aufgeblasenen Berichterstattung gezwungen, schnell zu regieren. Das Ergebnis sind schnelle, einfache Antworten, auch auf eigentlich komplexe Fragen. Wie sich der Wunsch nach absoluter Sicherheit im Flugverkehr mit den Bürgerrechten der Passagiere, aber auch mit dem Wunsch der Fluglinien nach schnellen, wirtschaftlichen Abläufen vereinbaren lässt, wäre eine tiefgehende Debatte wert. Doch die gibt es kaum. Innenminister de Maizière kündigte am Mittwoch an, Körperscanner an deutschen Flughäfen einzuführen - allerdings nur als für den Fluggast frei wählbare Alternative zur Sicherheitsschleuse. Ein Sprecher des bayerischen Wirtschaftsministeriums sagte später, wahrscheinlich sei ein "individuelles Fehlverhalten" eines Sicherheitsmitarbeiters für das Flughafenchaos verantwortlich. Josef Scheuring von der Gewerkschaft der Polizei forderte daher eine Verstaatlichung der Kontrollen an Flughäfen.

Als ob das etwas nutzen würde. Das Sicherheitspersonal in München ist bei der Firma SGM angestellt. Die gehört zu 100 Prozent - dem Freistaat Bayern.

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3 Kommentare

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  • N
    Nome

    komisch finde ich auch, dass es trotz videoueberwachung nicht gelang den mann zu finden. denkt sich der gemeine buerger nichts dabei, wenn ihm so offensichtlich vor augen gefuehrt wird wie die technik nicht den zweck erfuellt, der ihm allerdings immerwieder propagiert wird.

  • SV
    Sofort verhaften

    Am besten werden alle irgendwie auffälligen Personen vorsichtshalber bis auf weiteres prophylaktisch verhaftet. Dann ist endlich Ruhe - und man hat wieder Platz im Flugzeug.

  • SW
    Stefan Wössner

    "Uff. Was ist denn da los?"

     

    Da war los, daß wegen eines einzelnen Passagiers, der einen vermutlich falschen Alarm ausgelöst hat, Dutzende von Flügen ausfielen und Hunderte von Passagieren festsassen.

     

    Darüber ärgern sich die Fluggäste zurecht.

    Die Sicherheitskontrolle erweckt den Eindruck, daß alles vorgesehen ist, um gefährliches Gepäck zu entdecken, aber nichts vorgesehen ist für den Fall, daß wirklich etwas gefunden wird.

     

    Dabei ist klar, daß in den meisten Fällen, wenn der Scanner anspricht, falscher Alarm vorliegt. Daher muß es ein routinemässiges Verfahren geben, wie diese Fälle des Anfangsverdachts behandelt werden.

     

    Bei jedem auftretenden Anfangsverdacht die ganze Abflughalle für Stunden zu sperren, ist unsinnig, aber scheinbar die einzige Verfahrensweise, die für solche Fälle vorgesehen ist.

     

    Ein unnützer Artikel.