Alarm bei Naturschützern: US-Ölmulti schleudert Gift
Der Ölkonzern ConocoPhillips will seine Raffinerie in Wilhelmshaven mit 2,25 Milliarden Euro aufrüsten, um schadstoffhaltiges Rohöl aus Russland zu verarbeiten. Umweltstandards werden dabei nicht eingehalten.
Krise? Wilhelmshaven, das jahrzehntelang nichts anderes kannte, boomt. Die Stadt am Jadebusen ist derzeit eine der größten Baustellen Europas. Für den Tiefwasserhafen wird gerammt und gebaggert, der belgische Stromkonzern Electrabel zieht gerade ein Steinkohlekraftwerk hoch. Das mächtigste aller Projekte ist noch in der Planungsphase: Der Umbau der Raffinerie durch den US-Ölmulti ConocoPhillips. 2,25 Milliarden Euro soll das „Wilhelmshaven Upgrader Project“ kosten, mehr als doppelt so viel wie der Jadeweserport. 2012 soll die Raffinerie, die derzeit schon zu den zehn größten des Kontinents gehört, modernisiert sein.
Die Region freut sich auf zusätzliche 200 Jobs, Landrat Sven Ambrosy (SPD) glaubt, dass die Anlage mit der Milliarden-Modernisierung automatisch sauberer wird. Vielleicht lässt er sich von der großen Summe blenden. Denn genau das bezweifeln Umweltschützer: „Die Raffinerie ist eine unheimliche Riesen-Dreckschleuder“, sagt Jochen Martin vom Landesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz (LBU). Zusammen mit anderen Umweltgruppierungen hat er fleißig Einwendungen verfasst. Anfang März findet der öffentliche Erörterungstermin für das Projekt in Wilhelmshaven statt.
Auch Energiekonzerne sind von der Krise betroffen. Der drittgrößte Energiemulti der USA, ConocoPhillips mit Sitz in Houston, hat im vierten Quartal des Jahres 2008 einen Verlust von 31,8 Milliarden US-Dollar eingefahren. Der Umsatz ging im gleichen Zeitraum um 15,5 Prozent auf 44,5 Milliarden Dollar zurück.
Wegen der fallenden Ölpreise wird nun weniger investiert, konzernweit sollen vier Prozent der Stellen gestrichen werden - das entspricht 1.350 Arbeitsplätzen. Zudem musste das Unternehmen Abschreibungen in Milliardenhöhe an seinem 20-prozentigen Anteil an der russischen OAO Lukoil vornehmen. Was das für die Ausbaupläne der Raffinerie in Wilhelmshaven bedeutet, war nicht von dem Unternehmen zu erfahren. In Deutschland betreibt ConocoPhillips zudem Tankstellen der Marke Jet. Im vergangenen Jahr hatte ConocoPhillips den Zuschlag für die Erschließung eines Gasfeldes im Emirat Abu Dhabi bekommen.
Hier braut sich gerade eine mächtige Front zusammen. „Das Ziel ist, künftig Rohöl aus Russland zu verarbeiten, das ist viel schadstoffhaltiger als das Nordsee-Öl, das hier bislang verwendet wird“, sagt Christian Eberl. Der Vorsitzende des Naturschutzverbandes Niedersachsen (NVN) ist ein interessanter Widersacher des Projekts, da er bis vor einem Jahr noch als Staatssekretär im Umweltministerium in Hannover wirkte. Eberl war daran beteiligt, die Riesen-Investition in Wilhelmshaven einzufädeln.
Offenbar hat ConocoPhillips trotz anstehender Modernisierung alte Auflagen immer noch nicht erfüllt. Die Raffinerie stößt derzeit 70 Tonnen des Krebserregers Benzol im Jahr aus – damit werden 2003 mit der EU-Kommission vereinbarte Umweltstandards verletzt, nach dem Upgrade soll sich der Wert nicht bessern. „Auch die Freisetzung von Schwefeldioxid, Stickoxiden und Kohlenwasserstoffen ist zu hoch“, sagt Remmer Ackermann von der Biologischen Schutzgemeinschaft Hunte-Weser-Ems. Laut Gutachten steigt der Ausstoß krebserregender Stoffe durch den Umbau um das bis zu Siebenfache.
Das dürfte zum Problem für Wilhelmshaven und das angrenzende Hooksiel werden, weil die geplanten acht neuen Schornsteine mit Höhen von 56 und 76 Metern viel zu niedrig sind. „Was hier raus kommt, geht je nach Wind in einem Radius von zehn Kilometern nieder“, sagt LBU-Mann Martin. Beim „Cracken“, dem Verarbeiten der Schweröle, entstehen zudem 762.000 Tonnen Petrolkoks. Der hochgiftige Cocktail aus Kohlenstoff, Kadmium und Quecksilber muss mit 2.000 Lastwagenfuhren jährlich abtransportiert werden.
Jährlich soll die neue Anlage zudem 2,8 Millionen Tonnen des Klimakillers Kohlendioxid emittieren. Hätte ConocoPhillips, wie zunächst geplant, ein „Gas-und-Dampf-Kombikraftwerk“ gebaut, hätte man auf die insgesamt elf Schornsteine der Anlage verzichten können und müsste zudem keine Ausnahmegenehmigungen wegen nicht einzuhaltender Emissionsgrenzwerte beantragen, stellt LBU-Aktivistin Christine Jordan klar.
Der Standort der Raffinerie ist ein sensibles Natur- und EU-Vogelschutzgebiet: Der Norden des Voslapper Groden, in dessen Feuchtgebieten und Tümpeln bedrohte Vögel wie Blaukehlchen, Rohrdommel und Wachtelkönig nisten. Der Süden des Grodens wird ja schon „durch den Bau und die Verkehrsanbindungen des Jadeweserports sowie des Electrabel-Kohlekraftwerks erheblich verlärmt“, ärgert sich Elke Meier vom Naturschutzbund Nabu. Das geplante Gewerbegebiet wird weiter den Groden beeinträchtigen.
Nun drohten zudem dauerhaft Betriebs- und Verkehrslärm und Luftschadstoffe im Norden des Grodens, sagte Marita Wudte vom BUND. Für sie orientieren sich die Modernisierungspläne „offensichtlich nicht an der Vorgabe der Vermeidbarkeit von schädlichen Einwirkungen auf die Umwelt“. ConocoPhillips gehe es nur um „Wirtschaftlichkeit“. ConocoPhillips äußerte sich gegenüber der taz nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Angriffe auf Neonazis in Budapest
Ungarn liefert weiteres Mitglied um Lina E. aus
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands